Die Welfenkaiserin
schwingenden Waffen vermochte, zu der großen Gruppe, die sich am Ende des Zeltlagers eingefunden hatte. Erzbischof Agobard stand dort auf einer Kiste und schickte mit schmerzlich schriller Stimme seine Worte in die Welt. Judith drängte sich durch die Menge nach vorn, um nichts zu verpassen.
»Seht selbst, mit welch großer Macht die Söhne des Kaisers erschienen sind! Wollt ihr wirklich euren Bruder, euren Gefährten aus dem letzten Krieg töten? Nur wegen einer Frau, die als Quelle des Verderbens anzusehen ist? Die das Ehebett mit fremden Männern besudelt? Und ihrem Gemahl die Manneskraft geraubt hat?«
Judith unterdrückte einen Entsetzensschrei. Woher wusste Agobard von Ludwigs Versagen? Bernhard, dachte sie voller Zorn, nur er kann dieses Gerücht gestreut haben! Und es ist sogar schon bis zu den einfachsten Kriegern durchgedrungen! Ihre Wut über diesen Verrat wich schnell der Verzweiflung: Wie schlimm muss die Lage sein, wenn ein Bischof dem Kaiser öffentlich die Männlichkeit abzusprechen wagt und ihn dem Hohn des Volkes aussetzt!
»Ich würde ihn ihr auch gern zwischen die Schenkel stecken!«, rief jemand aus der Menge. Lautes Gelächter und zustimmendes Grölen. Der Mann, der neben Judith stand, schlug ihr so heftig auf die Schulter, dass sie fast zusammengesackt wäre. Er fasste sich ans Gemächt und donnerte: »Den hier treibe ich ihr zwischen die geilen Hinterbacken, wenn der Kaiser geschlagen ist!«
Judith glaubte, sich verhört zu haben. Diese Männer gehörten doch zum Heer des Kaisers, zu ihren Leuten!
»Aber dann sind doch auch wir geschlagen«, bot sie zaghaft an. Sie spürte, wie sich der Marderbart von ihren Lippen zu lösen drohte, und drückte ihn rasch wieder fest.
»Ach, mein Junge«, erwiderte der Mann lachend, »wo hast du denn in den vergangenen Tagen gesteckt!«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern hob die Hand, um die nächsten Worte des Erzbischofs nicht zu verpassen.
»Und hört, meine Söhne«, wütete Agobard weiter, »wollt ihr etwa für einen Kaiser kämpfen, der nur mit knapper Not einem Mordanschlag der eigenen Gemahlin entgangen ist? Weil sie ihren Sohn zum Kaiser ausrufen lassen will! Gift hat sie Ludwig reichen lassen, unter unser aller Augen! Er bog sich vor Krämpfen! Erst, als ich ihm das Gebräu aus der Hand schlug, begann er sich zu erholen!«
Böses Raunen ging durch die Menge, Pfuirufe ertönten, missbilligendes Gepfeife und gehässiges Zischeln. Der Krieger neben Judith stieß sie wieder an.
»Da hörst du es selbst, mein Freund. Und für diese Hexe sollen wir sterben? Außerdem wäre es schön dumm, dem Kaiser jetzt die Treue zu halten! In seinem Dienst wartet keine Belohnung auf uns, aber Lothar hat uns die Habe der Verlierer versprochen – wusstest du das nicht?«
Judith schüttelte stumm den Kopf. Ihr drohte schwarz vor Augen zu werden. Mit aller Kraft riss sie sich zusammen und brachte heiser hervor: »Aber ich habe dem Kaiser in Worms doch einen Treueid geschworen!«
Der Krieger sah sie mitleidig an. »Du bist noch zu jung, kleiner Freund«, sagte er gutmütig, »aber ich habe im Jahr 817 auf die Ordinatio imperii geschworen und betrachte diesen Eid immer noch als verbindlich. Wie die meisten hier. Was ist nun, schließt du dich uns an?«
Judith nickte und wandte sich um. Ihre Knie hatten zu schlottern begonnen. Während sie wie ein uralter Mann langsam fortschritt, hörte sie Agobard noch schreien: »Es liegt allein in eurer Hand, das Blutvergießen zu verhindern. Was kann Kaiser Ludwig schon ausrichten, wenn ihr euch alle zu Kaiser Lothar hinüberbegebt! Der es euch fürstlich lohnen wird!«
Auf dem Weg zurück sah Judith den Papst und sein Gefolge das Beratungszelt verlassen und den Weg zu Lothars Lager einschlagen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Plötzlich wünschte sie sich, Ludwig wäre zum Schein doch auf einige der päpstlichen Vorschläge eingegangen. Um Zeit zu gewinnen. Aber es war Lothar, der während der Verhandlungen Zeit gewonnen und ihre Krieger abgeworben hatte.
»Wieder eine Nachricht für die Kaiserin?«, fragte einer der Wachen spöttisch, als sie zu ihrem Zelt zurückkehrte.
»Nein«, erwiderte Judith und ging einfach an den Männern vorbei, »eine für ihre Magd.«
»Glückspilz! Steck einen Gruß von uns mit hinein!«
Anna fing sie auf, als sie mit letzter Kraft ins Zelt taumelte.
Judith riss sich den Helm vom Kopf, die Marderhaare vom Gesicht und begann zu weinen.
»Es ist alles verloren!«
Das war es
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