Die Welfenkaiserin
auch.
In der Nacht entstand im kaiserlichen Lager reges Treiben. Ganze Scharen zogen hinüber zu den verbündeten Brüdern; nicht nur einfache Krieger, sondern auch Grafen, Äbte und Bischöfe. Machtlos beobachteten Ludwig und Judith von ihrem Zelt aus den Auszug der einstigen Getreuen. An ihrer Seite befanden sich nur noch die drei Halbbrüder des Kaisers, Drogo, Hugo und Theoderich, die beiden Brüder der Kaiserin sowie Abt Markward aus Prüm, Erzkaplan Fulko, eine Handvoll Grafen und eine winzige Schar einfacher Krieger.
Wilde Schlachtrufe ertönten aus dem Lager der Söhne. Es klang, als sollte das Häuflein um Ludwig jederzeit von dieser ungeheueren Übermacht angegriffen werden.
Der Kaiser, der die ganze Nacht wach auf seinem Stuhl vor dem Zelt zugebracht hatte, rief am Morgen des 29. Juni die ihm verbliebenen Anhänger zusammen.
»Meine Freunde«, sprach er, stehend zu ihnen gewandt. »Ich danke euch für eure Treue! Aber es käme einem Selbstmord gleich, würden wir uns jetzt auf einen Kampf mit den Gegnern einlassen. Ich werde mich ergeben. Denjenigen unter euch, die von meinen Söhnen Übles zu erwarten haben, rate ich zur sofortigen Flucht.« Er nickte zu Judiths Brüdern hinüber. »Und euch andere bitte ich aus ganzem Herzen, offen zu meinen Söhnen überzulaufen. Ich will nicht, dass um meinetwillen einer das Leben oder ein Glied verliere.« Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und winkte ungeduldig den Getreuen, seiner Aufforderung sofort nachzukommen. Nur Drogo bat er, einen Augenblick zu verweilen.
»Ich schicke dich zu meinen Söhnen mit einem Auftrag«, sagte er zu seinem Halbbruder. »Bitte sie um Schonung für meine Gemahlin, meinen Sohn Karl, ja, und auch für mich. Sollte aber ein Opfer gefordert werden, bin ich bereit für das Leben meiner Frau und das meines Sohnes zu sterben.«
Schweren Herzens machte sich Drogo auf den Weg.
»Fort, fort, auch mit euch!«, rief der Kaiser unmutig Ruadbern, Arne und Anna zu, die hinter dem Sitz der Kaiserin stehen geblieben waren. »Ich möchte euch hier nicht mehr sehen!«
Kaiser, Kaiserin und Kaisersohn sahen ihre letzten Anhänger mit hängenden Schultern übers Feld schlurfen, und dann waren sie allein.
Judith sprach nur ein Wort: »Kloster.«
Ludwig nahm seine Frau in die Arme und flüsterte: »Das kennen wir doch schon. Und wir kennen auch Lothar. Er wird seine Brüder wieder zu Vasallen herunterdrücken wollen, sie werden sich beschweren und mich dann abermals um Hilfe angehen. Glaub mir, geliebte Frau, es wird nicht lange dauern, ehe wir wieder vereint sind.«
Seine Stimme klang zuversichtlicher, als ihm zumute war. Karl, der die ganze Nacht mit seinen Eltern gewacht hatte, konnte kaum noch die Augen offenhalten.
»Es ist nicht schlecht bei Abt Markward in Prüm«, erklärte er schläfrig. Als gehörte es zu seinem Leben, alle paar Jahre durch einen Aufruhr von den Eltern getrennt und in Prüm untergebracht zu werden.
»Er nimmt dich sicher gern wieder auf«, erklärte Ludwig bemüht munter.
Eine große Gruppe von Reitern löste sich aus dem riesigen Heer, das den drei Menschen gegenüberstand, und galoppierte in großer Eile über das Feld auf die verwaiste Zeltstadt des Kaisers zu. Ein einzelnes Ross trabte gemächlich hinter ihnen her. Es trug eine Frau. Irmingard wollte sich das Schauspiel der erneuten Demütigung ihrer großen Rivalin nicht entgehen lassen.
Dem Kaiserpaar verblieb gerade noch genug Zeit, sich untereinander abzusprechen. Ludwig gelobte, sich jeglichem Drängen nach seiner Mönchung entgegenzustellen, und Judith versicherte, diesmal nicht den Schleier zu nehmen.
»Dieser Papst wird mich niemals davon freisprechen«, sagte sie bitter und legte Ludwig schnell ans Herz, sich wieder Ruadberns als Bote zu bedienen. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu und hielten einander mit Karl in ihrer Mitte fest umarmt, als Lothar sein schnaubendes Ross vor ihnen zügelte. Zu seinen Seiten stiegen Pippin und Ludo von ihren Pferden, und hinter ihnen glitten Grafen, Bischöfe und Äbte aus den Sätteln. Voller Abscheu blickte Judith auf Bernhard von Barcelona, der sich erdreistet hatte, Pippin zu begleiten.
Mit den Zeichen äußerer Ehrerbietung neigten alle das Haupt tief.
»Nun denn, Vater«, sprach Lothar, »es wird Zeit, dich endgültig von deinem verräterischen Weib zu trennen.«
Ludo und Pippin traten vor. Doch bevor sie Judith aus den Armen des Kaisers zerren konnten, machte sie sich selbst los. Sie küsste Ludwig, herzte
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