Die Welfenkaiserin
erkannten sie, dass aus einem winzigen Spalt schubweise kleine Mengen schmutzigen Strohs in den Graben fielen. Betroffen sahen die Männer einander an und zügelten die Pferde.
»Wir überwältigen die beiden Wächter, befreien die Kaiserin und reiten mit ihr davon«, schlug Arne vor.
»Was meinst du wohl, wie weit wir kämen!«, gab Ruadbern zurück. »Der Graf von Lucca und der Bischof von Verona sind mit ihren Leuten auf dem Weg hierher. Sie werden uns sofort verfolgen. Im ganzen Reich gibt es derzeit keinen Ort, an dem die Kaiserin sicher ist!«
»Und was tun wir dann?«
»Wenn sie wirklich da unten im Kerker sitzt, müssen wir dafür sorgen, dass sie herauskommt und woanders untergebracht wird«, überlegte Ruadbern. »Bis sich Pippin und Ludo wieder gegen die Machtgelüste Lothars stellen und ihren Vater wie vor drei Jahren aus dem Kloster holen.«
Arne war nicht so leicht zu überzeugen. Er schlug vor, Judith als einfache Hörige zu verkleiden und ihr irgendwo Unterschlupf zu verschaffen.
Trotz des Ernstes der Lage brach Ruadbern in schallendes Gelächter aus. »Du sprichst von unserer Kaiserin! Was meinst du, wie lange sie eine solche Tarnung aufrechterhalten könnte? Sie kennt das Leben der einfachen Leute nicht. Soweit ich weiß, hat sie noch nie schwarzes Brot gesehen, Brennholz gesammelt oder einen Besen benutzt! Selbst die Sprache dieser Menschen ist ihr fremd! Alles an ihr würde sie augenblicklich verraten! Bei der Stimmung, die derzeit im Volk ihr gegenüber herrscht, wäre sie binnen Tagesfrist des Todes. Warte hier!«
Allein sprengte er bis zur Holzbrücke und kündigte den Wächtern durch das offene Tor des Turms einen Abgesandten des Bischofs von Verona an, der beauftragt sei, die einstige Kaiserin zu besuchen. Er stieg ab und schritt ohne weitere Einladung über die Holzbrücke durch das Tor.
»Niemand darf die Gefangene sehen oder sprechen«, beschied ihm der Vollbärtige mürrisch. »Befehl des Kaisers.«
»Den er euch gewiss höchstselbst erteilt hat«, bemerkte Ruadbern. Als der Wächter dies verneinte und sich auf die Reiterschar berief, nickte Ruadbern anerkennend.
»Es wäre ja noch schöner, wenn solche Lumpen das Wort an die edle Frau richten dürften! Ihr würdet gewiss auch dem Heiligen Vater den Zugang zu ihr verweigern?«
»Natürlich nicht!«
»Seht ihr! Und da der Bischof sein Stellvertreter ist, werdet ihr ihn gleichfalls zu ihr lassen.«
»Den Bischof schon.«
Ruadbern redete mit Engelszungen auf die Wachen ein, doch sie zeigten sich nicht bereit, dem jungen Mönch als Stellvertreter des Bischofs die Gefangene vorzuführen.
»Hoffentlich habt ihr sie in einer freundlichen sauberen Kammer untergebracht«, sagte Ruadbern. »Der Bischof ist höchst reinlich und hat eine sehr empfindliche Nase. Es geziemt sich nicht, ihn Ausdünstungen unangenehmer Art auszusetzen. Er hat mir ans Herz gelegt, darauf zu achten.«
Es gäbe keine freundlichen Kammern, knurrte der Vollbärtige, dieses Gebäude sei schließlich als Gefängnis errichtet worden, falls er begreife, was das bedeute.
Selbstredend, meinte Ruadbern, wissend, dass diese Männer nie zuvor einen Gefangenen bewacht hatten. Ein Gefängnis sei vergleichbar mit einem Kloster. Dort habe der Insasse seine Sünden niederzuschreiben und für sie zu büßen.
»Niederzuschreiben?«
»Wer sich auf das Schreiben versteht, ist dazu verpflichtet. Ich nehme an, eure Gefangene ist mit Pergament und Federn ausreichend versorgt? Und mit genügend Licht? Der Kaiser wird ihre Sündenliste bald anfordern.«
»Davon ist uns nichts gesagt worden.«
»Wie gut, dass ich noch vor dem Bischof nach dem Rechten gesehen habe!«, erklärte Ruadbern streng.
»Wer soll das bezahlen? Und wo sollen Pergament und Federn herkommen?«
Ruadbern lächelte mild und sicherte zu, das Schreibmaterial selbst zu liefern. Er legte ein gut gefülltes Leinensäckchen neben den Würfelbecher auf den grob gezimmerten Holztisch. »Für Licht, sauberes Linnen und natürlich Speis und Trank. Und wenn es euch recht ist, möchte ich nach meinem langen Ritt jetzt selbst gern einen Schluck zu mir nehmen.«
Arne musste keinem faulenden Stroh ausweichen, als er unterhalb des Steinspalts im Graben stand. Beim Klang von Ruadberns Stimme hatte Judith augenblicklich mit ihrer Arbeit innegehalten. Ein nie zuvor gekanntes Glücksgefühl stieg in ihr auf. Man hatte sie gefunden! Sie war gerettet und würde nicht in diesem stinkenden Verlies sterben! Sie legte ihr Ohr an die
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