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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Falltür, doch nur Bruchstücke des Wortwechsels drangen zu ihr nach unten. Wenn Ruadbern im Auftrag eines Bischofs unterwegs war, konnte dies nur Drogo sein, dachte sie. Er würde dafür sorgen, dass sie in ein anständiges Kloster kam, bis die Ordnung wiederhergestellt war.
    In der Hoffnung, sogleich ihrem Verlies entsteigen zu können, zog sie sich hastig ihr feuchtes Kleid an. Ihr entging die leise rufende Stimme Arnes, da sie ihre ganze Aufmerksamkeit nach oben gerichtet hatte. Erst als Ruadbern schon längst fortgeritten war, betrachtete sie verwundert einen langen frischen Grashalm, der in ihre Zelle ragte, und fragte sich, wer Ruadbern wohl begleitet haben mochte.
    Sie rief nach oben und verlangte einen Eimer für die Notdurft. Die beiden Wachen reagierten nicht. Die Ankunft des Bischofs hatte der fremde Mönch frühestens auf den nächsten Tag angesetzt. Es verblieb also genügend Zeit, die Gefangene in eine der Turmkammern zu verbringen. Sollte sie bis dahin ihre Notdurft doch in einer Ecke des Kerkers verrichten. Viel dürfte es ohnehin nicht sein, da sie erst am nächsten Tag wieder Essen bekäme.
    Lange Zeit wartete Judith vergeblich auf das Öffnen der Falltür. Sie sprach sich Mut zu. Morgen, dachte sie, morgen, und zog das immer noch klamme Kleid wieder aus. Der Strahl der Hoffnung erhellte ihr Verlies auch dann noch, als es im Kerker stockfinster wurde. Sie legte sich ins frische Stroh, ignorierte das Kratzen der Halme und stellte sich vor, es wäre ein weiches Bett. Kurz bevor sie vor Erschöpfung einschlief, wurde sie durch ein Geräusch aufgeschreckt. Mit einem Mal hellwach, spitzte sie die Ohren und vernahm aus einer Ecke ihres Kerkers leises Nagen. Ratten! Sie sprang auf, um die Tiere zu verscheuchen, doch ihre Knie knickten vor Schwäche ein. Hunger überwältigte sie, und nichts erschien ihr köstlicher als die Fetzen Hühnerfleisch, die noch an den fast abgenagten Schenkeln und Flügeln gehangen hatten. Keine Ratte durfte ihr diese Kostbarkeit stehlen! Sie nahm alle Kraft zusammen und warf sich in die Ecke, wo sie das räuberische Nagetier vermutete. Sie spürte, wie es unter ihrem Leib hinweghuschte, ertastete gierig den Rest eines Hühnerbeins und biss hinein.
    Als sich Ruadbern am nächsten Tag vergewissert hatte, dass Judith in der obersten Turmkammer untergebracht, ihr ein ordentliches Mahl vorgesetzt und Schreibzeug ausgehändigt worden war, verabschiedete er sich von Arne. Er hatte den alten Mönch in der Gaststube der Abtei überredet, dem jungen Knecht für einige Zeit Arbeit zu geben, und war jetzt begierig darauf, nach Soissons zurückzukehren, um Ludwig Bericht zu erstatten.
    »Wenn sich irgendetwas an der Lage der Kaiserin ändern sollte, wirst du es hier am ehesten erfahren«, sagte er und schärfte Arne ein, die Gespräche der vornehmeren Gäste so gut wie möglich zu belauschen.
    Ruadbern schlief kaum, wechselte bei jeder Gelegenheit die Pferde, benötigte aber dennoch nahezu drei Wochen, ehe er, wieder in seine gewohnte Gelehrtenkleidung gewandet, in Soissons eintraf. Seine Bitte, den Kaiser sprechen zu dürfen, wurde ihm vom Abt des Klosters abschlägig beschieden. Er traf auf Walahfrid Strabo, der sich von Aachen aus aufgemacht hatte, um Näheres über das Schicksal der von ihm so verehrten Kaiserin zu erfahren. Obwohl er Ruadbern früher als Konkurrenten um die Gunst der hohen Frau betrachtet hatte, war er überglücklich, als ihm der junge Mann andeutete, demnächst möglicherweise mit der Kaiserin in Verbindung treten zu können. Er überreichte ihm eine Rolle Pergament mit neuen Lobgedichten über die Kaiserin.
    Während Ruadbern vor dem Abteigebäude herumlungerte und überlegte, wie er dennoch zu Ludwig vordringen könnte, rückte ein langer und sehr eindrucksvoll ausgestalteter Zug näher. Ruadbern erkannte die Farben des Königs Harald Klak.
    Außer Atem legte Graf Bonifatius von Lucca auf der Treppe eine Pause ein und lehnte erschöpft seinen mächtigen Leib an die Mauer.
    »Weshalb habt ihr die Gefangene so weit oben untergebracht?«, keuchte er.
    »Um Kosten zu sparen, Herr«, erwiderte der Wächter. »Maueröffnungen gibt es nur in der obersten Kammer. Damit die Frau tagsüber, ohne kostbare Lichte aufzubrauchen, ihre Sündenliste anfertigen kann.«
    »Sündenliste?«, fragte Graf Bonifatius verständnislos.
    Stolz über seinen Wissensvorsprung, belehrte ihn der Wächter, dies gehöre zu den vornehmlichsten Aufgaben eines Gefangenen. Er schob den Riegel an

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