Die Welfenkaiserin
mit den Füßen zuerst herausgetragen«, erklärte der Mann lachend. »Der Graf musste es vor zwanzig Jahren auf Geheiß von Kaiser Karl bauen lassen.«
»Für Aussätzige?«, fragte Arne. Misstrauisch musterte ihn der alte Mönch. Dieser Knecht sprach recht seltsam für jemanden aus Verona.
»Er kommt aus dem Norden«, beeilte sich Ruadbern zu sagen. Der Alte nickte verständnisvoll und fuhr fort: »Nicht für Aussätzige. Viel schlimmer! Für Leute, die aufgehängt, gevierteilt, aufs Rad geflochten oder bis zum Kinn in die Erde eingegraben werden sollten!«
Arne zuckte zusammen.
»Keiner hat dieses Gesetz damals verstanden«, fuhr der Mann fort. »Es ergibt doch keinen Sinn, Verbrecher einzusperren! Man muss sie für alle Zeiten loswerden, und dafür haben sich mehrere Handhabungen bewährt. Die überdies den Alltag der anständigen Leute erquicken und in den Gaststuben die Denare klingeln lassen. Du bist zu jung, Bruder, um dich an die Zeiten zu erinnern, da Kaiser Karl uns unermüdlich mit neuen abartigen Gesetzen belästigte, Gott habe ihn selig! Er hat behauptet, Schurken würden sich bessern, wenn man sie nur lange genug in Verliesen belässt. Wie soll das denn vor sich gehen? Sie sitzen wie Herren herum, kriegen ihr Essen, ohne dafür zu arbeiten, kosten nur Geld und müssen überdies noch bewacht werden! Und schließlich sterben sie doch!«
Arne verstand weniger als die Hälfte des fränkisch-lateinischen Geredes und sah Ruadbern fragend an.
»Später«, murmelte der. Als der Mönch außer Hörweite war, berichtete er ihm von jenem Erlass, den Karl der Große im Jahr 813 herausgegeben hatte, wonach jede Grafschaft ein Gefängnis errichten und darin Gesetzesbrecher aus guten Familien bis zu ihrer Besserung einsperren sollte.
»Ich dachte, dafür gibt es Klöster!«, versetzte Arne verblüfft und fügte nach kurzer Überlegung hinzu: »Wo fängt die gute Familie an; beim Grafen?«
Lothar spähte durch das Türloch in die Mönchszelle hinein, schüttelte den Kopf und sah den Abt fragend an. Der zuckte mit den Schultern.
»Dein Vater denkt sich stets neue Strafen für sich aus«, sagte er schließlich, »er ist wie besessen davon, sich durch Schmerzen zu reinigen.«
Ungläubig beobachtete Lothar, wie Ludwig eine Schale mit Erbsen auf dem Boden seiner Mönchszelle ausschüttete, zwei Feldsteine in die Hände nahm und sich auf den Erbsen zum Knien niederließ.
Den Vater würde er nie verstehen. Lothar hätte sein Leben dafür verwettet, dass der einstige Kaiser nach der Mitteilung von Judiths Tod augenblicklich in den Mönchstand eintreten würde. Das war nicht geschehen. Er lebte, betete und kasteite sich wie ein Mönch, aber er lehnte es ab, einer zu werden. Lothar hatte ihm seine weisesten Äbte und Bischöfe geschickt, seinen Milchbruder Ebbo; allesamt damit beauftragt, den Kaiser umzustimmen. Freunde Ludwigs wie den Fuldaer Abt Rabanus Maurus hatte er gar nicht erst zu ihm gelassen. Und Boten von Leuten wie Harald Klak gleich wieder weggeschickt. Vielleicht hatte es nicht gereicht, ihm Judiths Tod zu verkünden. Demnächst würde er ihm die traurige Mitteilung zukommen lassen, dass auch Karl in Prüm das Zeitliche gesegnet hätte. Das musste allerdings gut bedacht werden. Vor dem hünenhaften Abt Markward hatte Lothar eine gewisse Scheu. Dieser entfernte Verwandte der Kaiserfamilie spitzte erheblich weniger Federn als Rabanus Maurus, aber seine Rede war schärfer, seine Kampfeskunst mit Sicherheit nicht zu unterschätzen, und er schien ins gesamte Frankenreich Verbindungen zu unterhalten. Er würde sich nicht abweisen lassen, sondern zu Ludwig durchdringen, käme ihm zu Ohren, Lothar habe Karls Tod verkündet.
Aber warum sollte Karl eigentlich nicht wirklich sterben? Schließlich hatte sein Oheim Pippin, den man den Buckligen nannte, ebenfalls in Prüm vorzeitig sein Leben beschlossen. So etwas war einzurichten.
Lothar wandte sich von dem Guckloch ab und schritt seufzend durch den langen offenen Gang zum Klostertor. Irmingard lag ihm seit Wochen in den Ohren, Judith endlich töten zu lassen. Sie hatte sich ausgemalt, wie man den Leichnam der einstigen Kaiserin durch Aachen schleifen, ihm nachträglich den Kopf abschlagen, am Torhaus aufhängen und einfachen Leuten erlauben sollte, mit Pfeilen und Spießen darauf zu zielen.
Aachen war ein Problem für Lothar. Irmingard verstand nicht, weshalb sie dort nicht schon längst die kaiserlichen Gemächer bezogen hatten. Jetzt gehöre doch Lothar auf den
Weitere Kostenlose Bücher