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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Stamm des Reiches kaisertreu. Ludwigtreu. Die Freude, die sie bei diesem Gedanken durchströmte, ließ sie den Schmerz nicht spüren, den ihr die betagten Füße auf dem Weg zur Abtei bereiteten. Ihren ältester Gegner, ihren Erzfeind Ludwig, betrachtete sie jetzt als Verbündeten, als Hoffnungsträger. Denn für ihre Judith gab es nur eine Zukunft, wenn er wieder als Kaiser eingesetzt wurde. Gerswind bangte um das Leben ihres einstigen Zöglings. Unablässig bestürmte sie Abt Markward, seine Verbindungen spielen zu lassen, und flehte täglich Gott, Jesus, den Heiligen Geist, die Heiligen, die Ahnen und die Götter ihrer Vergangenheit an, Judith zu beschirmen und die Kaiserfamilie wieder heil zusammenzuführen.
    »Welch seltsamer Felsen dort«, wandte sie sich an den älteren Mönch.
    »Wie meinst du das?«
    »Ungut«, murmelte Gerswind. »Er trägt eine böse Erinnerung.«
    »Da hast du recht«, sagte der Mönch beeindruckt. »Vor sehr langer Zeit ist dort eine junge Frau auf gewalttätige Weise gestorben. Das Blut am Felsen hat vielen Wintern getrotzt.«
    »Was ist mit ihr geschehen?«, fragte Gerswind, froh, von ihren Sorgen um Judith abgelenkt zu werden.
    »Es mag so um die hundert Winter her sein«, begann der Mönch, »da fanden Prümer ein Mädchen im Wald, das nichts als ein paar Schuhe trug und so entsetzlich zugerichtet war, dass niemand ihr Gesicht hätte erkennen können. Man sagt …«
    Er hielt inne.
    »Was sagt man?«, fragte Gerswind ungeduldig.
    »… dass nicht nur sie hier den Tod fand. Wenig später entdeckte man hier Reste eines Kopfes und angefressene Teile des Rumpfs einer anderen Frau. Es war sehr rätselhaft, denn Wegelagerer pflegen so nicht zu handeln. Das war zu der Zeit, als König Pippin, der Vater Kaiser Karls, sich zum ersten Mal hier länger aufhielt. Sein Reisezug war kurz vor seiner Ankunft ebenfalls von Räubern überfallen worden. Vielleicht hat er zum Dank für sein Überleben diese Abtei mit besonderen Ehrungen und Schenkungen bedacht. Und eine wichtige Synode hier einberufen, bei der Bischof Bonifatius allgemeingültige Regeln für das Leben der Laien und Gottesdiener verkündete.«
    »Hing denn der Überfall auf den König mit den Morden an diesen Frauen zusammen?«, fragte Gerswind.
    »Wohl kaum. Das müssen fremdländische Räuber gewesen sein. Auch wenn sich niemand zusammenreimen konnte, weshalb sie so grausam vorgingen und dennoch der jungen Frau die kostbaren edelsteinbesetzten Schuhe gelassen haben«, erwiderte der Mönch.
    Gerswind schüttelte sich. Diesen barbarischen Zeiten hatte ihr Karl wahrlich den Garaus gemacht. Auch wenn nicht alle seine Gesetze von den Vasallen so angenommen worden waren, wie er es sich gewünscht hatte.
    In der Abtei fand Gerswind Abt Markward höchst aufgebracht vor.
    »Karl muss geschützt werden!«, fuhr er sie an.
    Sie hob die Schultern. »An mir soll es nicht scheitern«, sagte sie gelassen.
    »Kannst du dir vorstellen …« Der riesige Mann schien noch größer zu werden, als er die Arme gen Himmel erhob, »… dass gedungene Mörder hier eindringen, um Karl …«
    »… zu vergiften?«, beendete Gerswind seinen Satz.
    Er starrte sie an. »Du kannst es dir vorstellen?«, donnerte er.
    »Es wäre nicht das erste Mal«, antwortete sie leise, »dass ein Kaisersohn derart ums Leben käme. Aber diesmal werden wir es zu verhindern wissen.«
    Der Stuhl, auf den sich Abt Markward in seiner Verblüffung fallen ließ, krachte unter ihm zusammen.
    »Wenn so schlecht gearbeitet wird, dass alles auseinanderbricht«, bemerkte Gerswind, als sich der riesige Mann unversehrt vom Boden aufrappelte, »dann sollte man zumindest Brauchbares aus den Trümmern retten.« Und damit half sie dem Abt, die wiederverwendbaren Holzstücke aufzusammeln.
    »Wie merkwürdig«, sagte Arne und deutete zu dem roten Turm, der sich in seiner senkrechten Strenge gegen den Sonnenuntergang abhob und in dieser lieblichen Landschaft seltsam unwirklich aussah.
    »Wovon sprichst du?«
    »Da unten, etwas oberhalb des Grabens. Es sieht so aus, als ob jemand aus einem Loch Haare hinausschiebt.«
    Haare. Judith.
    Ruadbern zügelte sein Pferd und strengte seine kurzsichtigen Gelehrtenaugen an.
    »Wo?«
    »Neben der Brücke. Am unteren Teil des Turms. Da! Ein ganzer Strang Haare! Oder etwas Ähnliches.«
    »Blonde Haare?«
    »Das kann ich nicht sehen. Es sieht in diesem Licht dunkel aus. Aber so viele Haare kann kein Mensch haben.«
    »Die Kaiserin schon.«
    Beim Näherkommen

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