Die Welfenkaiserin
Judiths Zellentür zur Seite, ließ den Besucher eintreten und zog sich sofort zurück, denn er hatte es eilig, die Denare zu zählen, die ihm der Graf auf dem Weg nach oben zugesteckt hatte.
Harald Klak freute sich, den jungen Mann zu erblicken, den er auf seiner Reise nach Rom zu schätzen gelernt hatte, und begrüßte ihn mit ausgesuchter Herzlichkeit.
»Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, als ich vernahm, was meinem Bruder, dem edlen Kaiser, widerfahren ist«, sagte er empört, »und bin jetzt hier, um meine Hilfe anzubieten.«
»Herr König«, sagte Ruadbern eindringlich, »Euch wird man zweifellos zum Kaiser vorlassen. Ich habe wichtige Nachrichten für ihn.«
Voller Entsetzen hörte sich Harald Klak den Bericht über das Los der armen Kaiserin in ihrem finsteren Verlies an.
»Auch mich haben Verwandte von meinem Thron vertrieben«, sagte er, »doch dank des gütigen Kaisers lebt meine Familie in Friesland heute in Wohlstand, Würde und Glück. Das Wasser in Mainz hat Ludwig und mich zu Brüdern gemacht, meine Gemahlin und Judith zu Schwestern …«
Er brach ab. Wie wenig Brüderlichkeit Lothar seinem Patenkind Gottfried erwiesen hatte, sagte er nicht. Sein Gesicht lief dunkelrot an. Lothar war für ihn ein ehrloser Gesell, nicht der geringsten Erwähnung wert.
»Wir befreien die Kaiserin!«, erklärte er. »Meine Truppen holen sie aus dem Turm!«
Er wies auf die schier unendlich scheinende Schar von Kriegern auf Pferden und zu Fuß hinter sich.
»Darüber sollte beraten werden«, erklärte Ruadbern und verabredete sich mit Harald Klak für den Abend. Er nutzte die Zeit bis dahin, um Erkundigungen einzuziehen, doch was er erfuhr, erschreckte ihn zutiefst.
Neugierde auf die ehebrechende Zauberin, die in seiner Grafschaft im Kerker saß, hatte Graf Bonifatius nach Tortona getrieben. Als er der einstigen Kaiserin gegenüberstand, zweifelte er keinen Augenblick mehr an der Wahrheit der Anklagen. Er spürte am eigenen Leib die Zauberkunst, die von diesem Weib ausging, denn das unfügsame Tier zwischen seinen Schenkeln erhob seit Jahren erstmals wieder sein Haupt. Priester und weise Frauen, an die er sich in seiner Verzweiflung gewandt hatte, waren gegen dieses schmähliche Versagen machtlos gewesen. Und jetzt hatte diese wahrhafte Hexe in ihrem schadhaften Kleid, die im mittleren Alter sein musste und dennoch wie ein junges Mädchen aussah, ungefragt seine Not erkannt und gebannt. Schwer atmend blieb er vor ihr stehen und starrte verzückt auf die goldhaarige Erscheinung, die dem Kaiser und dem Reich zum Verhängnis geworden war und ihm selbst ein solches Geschenk bereitet hatte.
»Gibt es neue Nachrichten?«, fragte Judith, der unter dem Blick des schweigenden und schwitzenden Grafen immer unbehaglicher wurde.
Die volltönende Stimme aus dem schönen Mund der zierlichen Gestalt riss ihn vollends hin. Ohne sich zu bedenken – als kleiner Graf war er gegen solch mächtigen Zauber ohnehin wehrlos –, warf er sich auf sie, riss ihr mit beiden Händen das Kleid auf und drang mit freudigem Ungestüm in sie ein.
Der Vollbärtige blickte nicht auf, als er den Schrei aus Judiths Kehle hörte. Er stand noch auf der Treppe, zählte das Geld, von dem der andere Wächter nichts wissen sollte, und verzog den Mund zu einem leichten Grinsen. Wenn weitere hohe Herren für ihren Spaß ebenso gut bezahlten, würde ihn diese Verbrecherin zu einem reichen Mann machen. Dafür musste sie natürlich gesund sein und am Leben bleiben.
Er steckte das Geld ein, stieg die Stufen nach unten und forderte seinen Untergebenen auf, für das Abendessen der Gefangenen ein ganzes Huhn braten zu lassen und ihr den guten Wein hinaufzubringen.
Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen, Harald Klak davon zu überzeugen, sein Gefolge ohne ihn gen Norden zurückkehren zu lassen. Ein König könne sich nicht unbegleitet auf Reisen begeben, hatte er Ruadbern empört beschieden.
»Aber eine Kaiserin darf kaltblütig gemeuchelt werden?«, hatte Ruadbern genauso entrüstet geantwortet. Lothars jüngster Plan war ihm über die Verbindungen zu Ohren gekommen, die er sein dreiundzwanzigjähriges Leben lang aufgebaut und gepflegt hatte. Der Mord an Judith war beschlossene Sache. Ludwig musste den Leichnam seiner Gemahlin zu Gesicht bekommen, um endgültig alle Hoffnung fahren zu lassen. Die Männer, die mit dem Mordauftrag betraut worden waren, sollten schon am nächsten Tag aufbrechen. Also war höchste Eile geboten.
»Zu zweit kommen
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