Die Welfenkaiserin
seinem Sohn Karl, nach Aquitanien zieht, um seinen aufrührerischen Enkel Pippin II. und seinen untreuen Paten Bernhard von Barcelona zu züchtigen, fällt sein Sohn Ludwig von Bayern wieder in Schwaben ein. Mitte März 840 erreicht diese Nachricht den Kaiser in Poitiers.
In den Jahren 840 und 841
Als Geisel war Wilhelm gänzlich untauglich.
»Soll ich etwa einen Knaben hinrichten lassen, der meinem eigenen Sohn wie aus dem Gesicht geschnitten ist?«, tobte Ludwig, als ihm in Poitiers zugetragen wurde, Bernhard von Barcelona stachele den Kaiserenkel Pippin an, das Herrscherpaar und die in der Stadt lagernden Truppen anzugreifen. »Das wäre ja beinahe, als tötete ich mein eigen Fleisch und Blut!«
»Dein eigen Fleisch und Blut hat durchaus deinen Untergang im Sinn«, erwiderte Judith tonlos. »Trotzdem flehe ich dich an, nicht wieder gegen Ludo in den Krieg zu ziehen. Überlasse diesen Kampf Lothar; es geht ja auch um sein Reich! Bleib hier in Poitiers, und komm zu Kräften!«
Ludwig erhob sich von seinem fein geschnitzten Stuhl. »Noch kann ich reiten, kämpfen und Ludo in die Schranken weisen«, fuhr er Judith an. Seine Stimme übertönte beinahe das pfeifende Geräusch aus seinen Lungen. »Noch bin ich der Kaiser!«
»Dann komme ich mit!«
Ludwig schüttelte den Kopf und ließ sich hustend wieder auf seinen Stuhl fallen. »Du bleibst hier in Poitiers bei Karl und seinem Heer«, befahl er keuchend. »Ich werde eine große Streitmacht zurücklassen, an die sich mein Enkel, Pippins Sohn«, er seufzte, »nicht heranwagen wird. Mein Gott, der ist ja erst siebzehn …«
»Wie unser Karl auch«, setzte Judith nickend hinzu. Sie verzog das Gesicht, als sie Lärm im Gang hörte, und riss die Tür auf.
Bernhards Sohn Wilhelm stürmte herein und verschanzte sich schwer atmend hinter Ludwigs hohem Stuhl.
Direkt hinter ihm stürzte Karl mit gezücktem Schwert durch die Tür.
»Komm augenblicklich hervor!«, befahl er mit schriller Stimme. »Wir schicken jetzt deinem Vater deinen Kopf!«
Zu seinen Eltern gewandt, deutete er eine Verbeugung an und erklärte sachlich: »Wilhelm hat als Geisel sein Leben verwirkt, denn sein verräterischer Vater hat sich wieder gegen meinen gestellt. Erlaubt mir, die Geisel ihrem Schicksal zuzuführen.« Und endlich der Lächerlichkeit enthoben zu sein, ständig meinem jüngeren Ebenbild begegnen zu müssen, setzte er für sich hinzu. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Karl schon längst Verdacht geschöpft, welchem Umstand diese Ähnlichkeit zu verdanken sein könnte. Solange er zurückdenken konnte, hatte er sich gefragt, ob diese schöne junge Frau, die seine Mutter war, bei diesem unerträglich frommen alten Mann, der sein Vater zu sein glaubte, überhaupt auf ihre Kosten kam. Er war erst fünf Jahre alt gewesen, als man erste Gerüchte um Bernhard und Judith verbreitete, aber schon zehn, als sie wiederholt wurden, und so hatte er sich naturgemäß über seine eigene Herkunft Gedanken gemacht. Als ihm Wilhelm vorgestellt wurde, sah er den furchtbaren Verdacht bestätigt, außerhalb des Ehebetts gezeugt worden zu sein. Seine Mutter musste also zweifellos in der ersten Zeit ihrer Ehe den Kaiser betrogen haben. Aus eigener Anschauung hatte er keinen Grund, an Judiths Treue in späteren Jahren zu zweifeln. Sie hatte sich zwar in Mürlenbach mit Ruadbern eine Kammer geteilt, danach aber keinerlei Versuche unternommen, sich mit dem jungen Lehrer heimlich zu treffen, wie Karl herausgefunden hatte. Der asketische Ruadbern erschien ihm ohnehin über jeden Verdacht erhaben. Wenn seine Mutter außer Bernhard einen Liebhaber gehabt haben sollte, dann höchstens Walahfrid Strabo, der inzwischen zum Abt von Reichenau befördert worden war. Karl konnte sich noch gut daran erinnern, wie in die schielenden Augen seines einstigen Lehrers bei Judiths Anblick dämliches Leuchten getreten war. Und mit welcher Eitelkeit der Gelehrte seine Liebesgedichte an die Kaiserin aller Welt zugänglich machte. Dies sprach allerdings eher dafür, dass Judith ihn nicht erhört hatte und es bei der schwärmerischen Anbetung des jungen Mannes geblieben war.
Karl schrieb es der Durchtriebenheit seiner klugen Mutter zu, dass während der Familienfehden, die einzig durch die Tatsache seiner eigenen Geburt ausgelöst worden waren, niemals auch nur eine Andeutung über die Möglichkeit seiner außerehelichen Herkunft gefallen war. Doch seine Ähnlichkeit mit Bernhards ehelich geborenem Sohn Wilhelm könnte irgendwann zu
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