Die Welfenkaiserin
die Berichte über Lothars Wüten und die massenhaften Übertritte vermeintlicher Kaisergetreuen an. Judith sprach ein stummes Gebet für die Nonne Gerberga und bedauerte zutiefst, dieser weisen Frau jetzt nimmermehr begegnen zu können. Wut auf Irmingard stieg in ihr auf, die sich zur Richterin über die kluge Frau aufgeschwungen hatte – weil sie jetzt nicht mehr Kaiserin war.
Die Stille, die Kanzler Hugos furchtbarem Bericht folgte, wurde durch heftiges Klopfen zerrissen.
Müde forderte Ludwig seinen Halbbruder auf, die Tür zu öffnen.
Judith konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken, als eine schwarzhaarige untersetzte Gestalt den Raum betrat. Der Besucher verneigte sich tief vor dem Kaiserpaar und sagte: »Geliebter Patenohm, ich weiß, ich habe gefehlt und mich an dir versündigt, aber ich bitte dich aus tiefstem Herzen, mir dies gütigst zu vergeben. Von nun an werde ich immer treu zu dir stehen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«
Schmeichelworte und ein wertloser Schwur, dachte Judith voller Wut. Dass er es wagt, sich hier sehen zu lassen! Sie hätte ihn am liebsten angespuckt, als er niederkniete und des Kaisers Knie küsste. Ludwig griff nach Bernhards Händen, erhob sich, zog seinen Patensohn vom Boden auf und umarmte ihn.
»So viele haben gefehlt«, sagte er mit Tränen in den Augen, »und ich habe ihnen allen vergeben. Ich bin beglückt, dass auch du, mein verlorener Sohn, den rechten Weg wieder gefunden hast. Schau, wer hier ist, und begrüße deinen Schwager, geliebte Frau.«
Judith blieb sitzen und starrte erzürnt in die zwei zugefrorenen Teiche.
»Es tut mir sehr leid um deine Schwester«, murmelte sie dumpf.
»Gerberga?«, antwortete er mit gleichgültiger Stimme, »durch ihre dummen Prophezeiungen hat sie ihr eigenes Unglück heraufbeschworen.« Er wandte sich wieder an Ludwig. »Darf ich hoffen, meine alte Stellung am Hof wieder einnehmen zu können – als Erzieher Karls und vielleicht auch als Kämmerer?«
»Nein!«, versetzte Judith, der das Blut überzukochen drohte.
Ludwig sah sie überrascht an. Die alte Feindseligkeit, dachte er, sie hat ihn nie wirklich gemocht, ihn wohl immer nur geduldet. Wie seltsam, dass ihr ausgerechnet mit ihm ein Verhältnis angedichtet wurde!
Bernhard nahm Judiths Einwand nicht wahr und blickte immer noch fragend zum Kaiser.
»Du hast meine Gemahlin gehört«, sagte dieser bedauernd, »beides, die Erziehung Karls wie das Amt des Kämmerers, obliegt ihrer Aufsicht.«
»Du hast am Hof nichts mehr zu suchen«, meldete sich Judith mit scharfer Stimme wieder zu Wort. »Ich verlange, dass du augenblicklich nach Aquitanien zu Dhuoda zurückkehrst.«
»Ist das auch dein Wunsch, Oheim?«, fragte Bernhard den Kaiser.
Ludwig nickte unglücklich.
»Wenn ihr mir also nicht vertraut …«, sagte Bernhard kalt und bewegte sich rückwärts zur Tür, »… dann lasse ich euch ein Unterpfand hier …« Er riss die Tür auf und winkte jemandem, einzutreten.
Judith versteinerte. Herein kam ein Knabe von etwa acht Jahren, das genaue Abbild ihres Sohnes Karl in diesem Alter.
»Mein Sohn Wilhelm«, stellte Bernhard das Kind vor und forderte es auf, sich vor dem Kaiser auf die Knie zu werfen, »ich biete ihn euch als Geisel an.« Mit dem alten, ihr einstmals so vertrauten Spott in der Stimme wandte er sich an Judith: »Ich wäre der Kaiserin sehr verbunden, wenn sie sich seiner annähme. Niemand weiß besser als sie, wie wichtig einer Geisel die Tante sein kann.«
Er griff in die Tasche, zog ein kleines Päckchen hervor und legte es Judith zu Füßen. »Diese Botschaft wurde mir für die Kaiserin mitgegeben. Sie stammt aus Fulda.«
Er verbeugte sich noch einmal sehr tief und verließ den Raum, ohne sich von seinem Sohn zu verabschieden.
Wie zuvor den Vater, hob Ludwig jetzt den Sohn vom Boden, der immer noch kniend vor dem Kaiser verharrt hatte.
»Lass dich ansehen, mein Kind«, sagte er bewegt. Der Knabe hob die Lider und blickte dem alten Mann mit dem weißen Haarschopf vertrauensvoll in die Augen. Judith konnte gar nicht hinsehen, wartete auf die Erkenntnis, die Ludwig jetzt gewiss dämmern müsste. Verzweifelt griff sie nach dem Päckchen, das ihr Bernhard zu Füßen gelegt hatte, und öffnete es geistesabwesend.
»Schau mal, Judith, wie er unserem Karl ähnelt!«, rief Ludwig. Seine Stimme klang jetzt heiter. »Ist es nicht seltsam, dass sich in beiden Kindern tatsächlich das Welfengeschlecht durchgesetzt hat? Und nicht das der
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