Die Welfenkaiserin
solchem Gerücht Anlass geben und ihm jegliche Hoffnung auf den Kaiserthron rauben. Grund genug, dieses elende Geschöpf, das ihn wie aus einem verzerrten Spiegel angstvoll betrachtete, zu beseitigen! »Wir können diese unerfreuliche Angelegenheit auch im Vorhof erledigen«, setzte er bemüht würdevoll hinzu.
Ludwig erhob sich von seinem Sitz, trat auf den Sohn zu und riss ihm mit einer raschen Bewegung die Waffe aus der Hand.
»Wie kannst du es wagen, mit entblößtem Schwert vor deinen Kaiser zu treten?«, donnerte er. »So etwas kann dich dein Königreich kosten! Ich verlange eine augenblickliche Entschuldigung für deine Unverfrorenheit!«
Karl erstarrte. Noch nie hatte der Vater ihn derart gemaßregelt. Hilfe suchend sah er zu seiner Mutter hin. Mit Wilhelm an der Hand war sie ebenfalls vorgetreten und wartete, bis Karl eine nicht sonderlich würdevolle Entschuldigung hervorgestammelt hatte.
»Als Kind war auch ich Geisel an diesem Hof«, sagte sie hart, »aber ich fühlte mich als Mitglied der Familie und habe niemals um mein Leben fürchten müssen.« Sie drückte die Hand des Knaben an ihrer Seite, des Sohnes ihrer Schwester Dhuoda. »Ebenso wenig wie du, mein Neffe Wilhelm, das zu tun brauchst.« Ihre Stimme klang noch dunkler als sonst, als sie Karl dazu zwang, einen Schwur abzulegen, seinen Vetter immer zu beschützen und ihm niemals ein Leid anzutun.
Obwohl er am nächsten Morgen früh aufbrechen wollte, fiel Ludwig erst spät in einen unruhigen Schlaf. Judith wachte an seinem Bett und benetzte seine heiße Stirn mit kühlfeuchten Tüchern. Wie sollte er in diesem Zustand gegen Ludo kämpfen? Er aß kaum noch etwas, spuckte Blut beim Husten und war schon nach kurzen Wegstrecken erschöpft. »Ich werde dich nie wiedersehen«, murmelte sie voller Trauer. Fürchtend, dass dies die letzten Stunden mit ihrem Mann sein könnten, blieb sie die ganze Nacht über wach. Sie quälte sich mit dem Gedanken, Ludwig noch irgendeinen Dienst erweisen zu müssen, ihm etwas schuldig zu sein, aber erst im Morgengrauen kam ihr die Eingebung. Sie erhob sich, küsste Ludwig zärtlich auf die nicht mehr ganz so heiße Stirn, nahm einen kleinen Gegenstand aus einer Geheimlade ihres Schmuckkastens und legte ihn auf das Pult in der Ecke der Kammer. Sie ergriff ein Stück Pergament, schrieb einen Satz darauf: Mach deinen Frieden mit ihm, bevor es zu spät ist, wickelte den kleinen Gegenstand in das Pergament, verstaute das Päckchen in eine Hülle, versiegelte diese mit dem Ring der Kaiserin und ließ einen Eilboten rufen.
»Ehrwürdige Mutter, was soll ich nur tun?«
Äbtissin Philomena rieb sich die Ohren. Die hatten in der vergangenen Stunde gehörig viel aufnehmen müssen. Mitten in der Nacht war die Kaiserin in dem Kloster erschienen, in welches sie einst nach dem ersten Aufstand der Söhne Ludwigs verbannt worden war. Alles, was Philomena damals gern gewusst hätte, hatte die Kaiserin jetzt vor ihr ausgebreitet, und die Äbtissin fühlte sich leicht überfordert, zumal sie die ganze Zeit vor Augen hatte, wie die Sorgen auch an Judiths Rundungen gezehrt hatten. Die Kaiserin war fast bis auf die Knochen abgemagert.
»Dein Mann ist abgereist, mein Kind?«, fragte sie.
Judith nickte. »Er hat ein großes Heer hinterlassen, falls Pippins Sohn Pippin II. uns angreifen sollte.«
»Und dein kleiner Karl soll dieses Heer anführen?«
Ein unglückliches Nicken antwortete ihr.
»Und du glaubst, Pippin wird nur angreifen, wenn ihn Bernhard dazu auffordert?«
»Nur das gäbe ihm den Mut dazu«, versicherte Judith. »Der kleine Pippin ist … wie mein kleiner Karl … noch kein richtiger Krieger oder gar Feldherr.«
»Wilhelm zu opfern ergibt überhaupt keinen Sinn«, überlegte die Äbtissin, »im Gegenteil, das ist jene Gewalt, die wiederum Gewalt gebiert.«
Ein ungeheuerlicher Gedanke reifte in Judith. Sie machte ihm Luft: »Vielleicht hat uns Bernhard genau aus diesem Grund seinen Sohn Wilhelm als Geisel gestellt«, flüsterte sie.
»Du meinst, dass er wie Abraham bereit ist, seinen Sohn zu opfern?«, fragte die Äbtissin scharf.
»Nicht wie Abraham. Wie Kaiserin Irene«, antwortete Judith, »die ihren Sohn tatsächlich ermordete, um sich selbst die Macht zu sichern.«
»Byzanz«, seufzte Äbtissin Philomena und verdrehte die Augen, »das ist eine sehr fremde Welt für uns. Und wir tun gut daran, uns von ihr und ihren Bräuchen fernzuhalten.«
Sie griff nach Judiths Hand.
»Möchtest du, mein Kind, bis zur
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