Die Welfenkaiserin
fettige rechte Hand am linken Ärmel abwischte und den Mundschenk mit einer ausladenden Bewegung auf seinen leeren Pokal aufmerksam machte. »Er ist Teil des Kronschatzes und steht jetzt Ermentrud zu.«
Jedes weitere Gespräch im Raum verstummte. Die meisten Gäste starrten betroffen nach unten, wagten nicht, die einstmals so mächtige Königinmutter anzusehen, und spitzten die Ohren, um ihre zweifellos scharfe Erwiderung nicht zu verpassen. Der Mundschenk eilte herbei und verschüttete in seiner Gespanntheit etwas Wein über des Königs Beine. Erleichtert, dass Karl dieses Missgeschick entgangen war, zog er sich schnell wieder zurück.
Judith sagte nichts. Sie erhob sich stolz, streifte Ringe und Armreifen ab und zog sich die schwere Goldkette an ihrem Hals über Kopf und Haube. Als beginge sie eine heilige Handlung versenkte sie ein Schmuckstück nach dem anderen in der vollen Suppenschüssel, die nahe Ermentrud stand. Dann beugte sie sich noch weiter über den Tisch, deutete lächelnd auf das bekleckerte Beinkleid ihres Sohnes und sagte nachsichtig wie zu einem kleinen Kind: »Du hast dich befleckt.«
»Und du den Mittelpunkt, in den du dich schon immer gedrängt hast«, erwiderte er im gleichen Ton.
Die Schwiegertochter öffnete noch immer nicht den Mund, sondern betrachtete demütig die gefalteten Hände auf ihrem Schoß.
Judith schenkte ihrem Sohn einen letzten harten Blick aus Saphiraugen und griff dann zu der Fibel, die ihr Obergewand zusammenhielt. »Die magst du behalten«, entschied Karl großmütig, »alles andere liefer bitte vor deinem Weggang beim Kämmerer ab. Auch den großen Diamantring, den du früher nie abgelegt hast. Wo hast du ihn versteckt?«
Judith erhob sich und wies mit dem Kinn zu Drogo hin, der mit sichtlichem Unbehagen die Szene verfolgte.
»Frag deinen Oheim, den Erzbischof; der wird Wege finden, ihn dir wieder zu beschaffen«, versetzte sie trocken, nickte den Gästen hoheitsvoll zu und verließ hocherhobenen Hauptes die Festlichkeit.
Ruadbern wartete vor der Tür auf sie.
»Wir brechen vor Tagesanbruch auf«, schlug er vor.
Judith nickte.
»Ich habe meinen Abschied genommen«, sagte sie würdevoll.
Erst in ihrem Schlafgemach brach sie weinend zusammen.
Kaiserin Irmingard teilte ihrer Kammerfrau mit, sie wünsche aus Gründen der Andacht in den nächsten Stunden nicht gestört zu werden, und zog sich in ihr Gemach zurück.
Das, was sie vorhatte, erforderte in der Tat Andacht und höchste Aufmerksamkeit. Ein Fehler würde tödlich sein.
Es erwies sich als äußerst hinderlich, mit zwei Paar übereinandergestreiften Handschuhen zu arbeiten, aber Irmingard wollte nicht das geringste Risiko eingehen. Sie hatte sich sogar ein Tuch vor den Mund gebunden, um das Gift nicht einzuatmen, auch wenn es angeblich nur über die Haut in den menschlichen Körper eindringen sollte. Jedenfalls stand das auf dem Pergament, das sie unter den Aufzeichnungen der Nonne Gerberga entdeckt und im Prozess gegen die Nonne als Beweis für deren Giftmischerei verwendet hatte. Da es nie schaden konnte, über die Welt der Gifte gründlich Bescheid zu wissen, hatte sie sich das Schriftstück nach der Verhandlung angeeignet.
Verärgert blickte sie auf den drei Handteller großen silbernen Gegenstand, den ihr Lothar geschickt hatte. »Auch du sollst ein Stück vom Tisch haben«, hatte er dazu geschrieben. Wie konnte er es wagen, ihr, der Kaiserin, ein beschädigtes Teil zu schicken! Sie hatte sich lange gefragt, weshalb er den Tisch nicht entlang des Durchbruchs hatte zerschlagen lassen, bis ihr die Form dieses mit Reliefs versehenen Stücks auffiel: Lothar hatte ihr ein durchlöchertes Herz gesandt.
Während sie das Loch mit Kitt füllte und die geflickte Stelle sorgfältig mit Gift tränkte und bepinselte, stieg Wut in ihr auf. Nichts in ihrem Leben war so gelaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Als Kaiserin war sie zum Gespött der Leute geworden. Jeder wusste, dass Lothar sie vertrieben hatte und mit der unfreien Magd Doda in Sünde zusammenlebte. Und Irmingard obendrein damit verhöhnte, dass er sie in Dokumenten als seine viel geliebte und allerliebste Gemahlin bezeichnete. Ihr Einfluss beschränkte sich darauf, die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung herumkommandieren zu dürfen. Wie eine alte Witwe lebte sie in der Villa ihres Vaters in Tours und verfluchte ihr Schicksal. An dem ausschließlich Judith schuld war. Hätte diese Hexe Kaiser Ludwig auf der Brautschau nicht verzaubert, wäre
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