Die Welfenkaiserin
Umsicht walten lassen. Oder waren sie doch nicht vorsichtig genug gewesen?
Schon öfter hatte er sich gefragt, ob sein Spiel mit dem Feuer nicht zu einem Flächenbrand führen könnte, der ihn mitsamt seinen Zukunftsträumen versengen würde. Dann aber bedachte er, dass es nicht nur darum ging, die süßen Freuden zu genießen, die Judiths Körper ihm – und ihm allein!, wie er wusste – bereitete. Denn das Bett der Kaiserin war eine Stätte, an der er Macht ausüben konnte. Und mehr noch als nach dem anmutigen Leib Judiths hungerte er genau danach. Er fand, dass sie ihm zustand.
Schließlich stammte er nicht nur in direkter Linie von Karl Martell ab, der sein Großvater gewesen war, sondern schon seine Geburt galt als ein Wunder, da seine Mutter das Alter der Fruchtbarkeit bei Weitem überschritten hatte. Nicht erstaunlich war daher, dass die alte Frau bei der Niederkunft starb. Was Bernhard später weniger verdross als ihre Stellung in der Erbfolge: Wäre seine Mutter ein ehelich geborener Mann gewesen, hätte es möglicherweise weder einen Kaiser Karl noch einen Kaiser Ludwig gegeben. Dann würde er, Bernhard, heute die Geschicke des Reichs lenken. Solange er zurückdenken konnte, hatte ihn dieser Gedanke gequält, wie ein Stachel in seinem Fleisch gesteckt. Als Knabe hatte er die frühen Tode der älteren Karlssöhne begrüßt, gehofft, dass es auch Ludwig und dessen Söhne schnell dahinraffen möge, um seinen eigenen Anspruch auf den Thron geltend zu machen. Um dann rechtzeitig zur Stelle zu sein, hatte er seinen Vater beschworen, ihn bei seinem Patenonkel Kaiser Ludwig erziehen zu lassen.
Also wuchs er in Aquitanien an der Quelle der künftigen Macht heran. Irgendwann musste er sich eingestehen, dass seine Aussichten auf Erlangung des Throns verschwindend klein waren und zunehmend geringer wurden. Er schloss sich dem gleichaltrigen Lothar an, der seinen Vater verachtete, seine Mutter dagegen anbetete. Lothar hielt den Kaiser für schwach und wankelmütig und versorgte Bernhard mit der wichtigen Information, dass sein Vater nichts ohne Rücksprache und Billigung der Kaiserin tat, weshalb im Grunde seine Mutter über das Reich herrschte. Bernhard fand es außerordentlich erstaunlich, dass eine Frau solche Macht über den Kaiser ausüben konnte.
Als kurz nach Irmingards Tod die Brautschau abgehalten wurde, war Bernhard von Judiths mutigem Auftritt überaus beeindruckt. Alles wäre mit einer solchen Frau an seiner Seite möglich, hatte er damals gedacht und es zunächst bedauert, dass der Kaiser das Wirkungsvermögen der jungen Frau offenbar selbst erkannt hatte und sich abermals einer kühnen Gefährtin versichern wollte.
Als Bernhard ihr wenige Tage vor der Hochzeit im Holzgang allein begegnet war und ihr höflich seine besten Wünsche für ihre Zukunft mitgeteilt hatte, war sie stehen geblieben, hatte ihn nachdenklich gemustert und geradeheraus gefragt, ob seine Gefühle für sie seinem Treueid dem Kaiser gegenüber im Weg stünden. Bernhard hatte überhaupt nicht mehr über irgendwelche Gefühle für Judith nachgedacht, als deutlich geworden war, dass sie des Kaisers neue Gemahlin werden sollte. Als Frau war sie für ihn somit unerreichbar geworden. Und vor Gefühlen schützte er sich ohnehin.
Doch ihre so leicht dahingesprochenen Worte brachten ihn auf den Gedanken, dass sie möglicherweise nicht über seine Gefühle, sondern über ihre eigenen sprach. Er entsann sich, wie leidenschaftlich sie seinen Kuss in der Kinderkammer erwidert hatte. Von diesem Gedanken bis zur Überlegung, sich der Liebe der Kaiserin zu versichern, um über diesen Umweg an der heiß begehrten Macht doch noch teilzuhaben, war nur ein kleiner Schritt. Der angesichts des Liebreizes der neuen Kaiserin zusätzliche Verlockung bot.
»Wem ich meine Verehrung bezeuge, der kann sich ihrer allewege gewiss sein«, erwiderte er mit fast demütig gebeugtem Haupt. Sie schluckte den Köder, reichte ihm eine Hand zum Kuss und wehrte sich nicht, als dieser Kuss ihren Arm hinaufwanderte, ihre Schultern, ihren Hals und schließlich auch ihre Lippen erreichte.
»Was machen wir nur!«, stieß sie aus, als er sie losließ.
»Liebe?«, antwortete er fragend, setzte eine traurige Miene auf und schickte beziehungsreich hinterher: »Weißt du überhaupt, was das ist?«
Ehe sie antworten konnte, war er davongeeilt. Das Saatkorn, das er ihr eingepflanzt hatte, ging auf. Am Tag vor ihrer Hochzeit setzte sie sich beim Abendmahl neben ihn und fragte
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