Die Welfenkaiserin
ihn beiläufig, weshalb sie einander in ihrer Jugend nicht wahrgenommen hätten, als er mit dem Hofstaat des Königs von Aquitanien nach Aachen gekommen war.
»Ich habe dich sehr wohl aus der Ferne bewundert, war aber zu klein und hässlich, als dass du mich in den Schatz deiner Erinnerungen aufgenommen hättest«, antwortete er freundlich.
Sie sei damals ziemlich dumm und zerstreut gewesen, bekannte sie und wechselte das Thema. Ob er ihr ausführlich über sein heimatliches Aquitanien berichten könne? Als Kaiserin müsse sie schließlich auch über Länder und Vorgänge westlich des Rheins Bescheid wissen.
Zwei Tage nach der Hochzeit nahm er mit Wissen und Billigung des Kaisers den Unterricht auf.
Judith gab sich sichtlich Mühe, ihre Freude über sein Erscheinen zu verbergen. Ihre Augen glänzten, wiesen aber nicht das gewisse Leuchten einer frisch verheirateten Frau auf. Das kam Bernhard sehr entgegen. Ihm war nicht an einer flüchtigen Liebelei, sondern an Judiths gänzlicher Hingabe gelegen. Begehren und Begierde hatte er in ihr geweckt; jetzt musste ihre Sehnsucht so lange gefüttert werden, bis sie ihm vollauf erlegen war. Deshalb verhielt er sich untadelig und rührte die Kaiserin nicht an.
Er rückte sogar von ihr ab, als sie sich gemeinsam über die Landkarte Aquitaniens beugten, und zog seine Hand zurück, als ihr der über die Höhen des Landes wandernde Zeigefinger Judiths näher kam. Er genoss es, sie zu plagen, würzte seine Ausführungen mit wohldosierten Schmeicheleien und strengen Zurechtweisungen. Er ließ sie zweideutige Verse aus der Volkssprache Aquitaniens, der lingua romana, ins Fränkische übersetzen und schloss versonnen die Augen, wenn sie auf dem Psalterium Melodien dazu erfand. Vorsichtig merkte er an, wie bedauerlich es doch sei, dass der Kaiser die von seinem Vater gesammelten heidnischen Heldendichtungen allesamt habe vernichten lassen. Judith stimmte ihm zu, ohne der Kritik an ihrem Gemahl zu widersprechen. Sie wurde immer blasser und verzweifelter. Immer hungriger. Nach einem halben Jahr versetzte er ihr gezielt einen letzten Schlag. Er kam nicht zur verabredeten Unterrichtstunde.
Während er auf seinem Hengst durch den Wald bei Aachen strich, stellte er sich vor, wie seelenwund sie in ihrem Gemach saß, sich zwingend, nicht durch das Palatium zu eilen, um ihn zu suchen. Er stieg vom Ross, zerriss sich die Beinkleider, ritzte sich mit einem scharfen Stein die Knie auf, kehrte humpelnd zu den Pfalzgebäuden zurück, warf sich dort Judith zu Füßen und entschuldigte sich für sein Fernbleiben.
Anmutig reichte sie ihm die Hand, bat ihn, sich nach seinem Reitunfall zu schonen, und schlug ihm vor, sie in dieser Stunde liegend zu unterrichten. Dieser Aufforderung kam er gern nach und ließ sich mühsam auf dem Lager in der Ecke des Gemachs nieder. Besorgt, als hätte er sich in einer heißen Schlacht eine schwere Verletzung zugezogen, beugte sie sich über ihn, untersuchte seine Wunde und bestand darauf, sie selbst zu verarzten.
»Auch die Wunde in meinem Herzen?«, fragte er und brachte das Eis in seinen Augen zum Schmelzen. Wie erwartet, ließ Judith das Verbandslinnen fallen, nahm ihn aufschluchzend in die Arme und ließ voller Verzückung mit sich geschehen, wonach sie sich so verzweifelt gesehnt hatte.
Als sich ihre nackten Leiber später voneinander lösten, blickte er verständnislos auf das Blut, das sie ihm freudestrahlend auf dem Linnen zeigte.
»Es ist mein Blut, nicht deins«, sagte sie eindringlich. Da erst begriff er, weshalb Judith, der in allen anderen Angelegenheiten Zurückhaltung und Schüchternheit fremd waren, sich so scheu von ihm hatte führen lassen. Das erklärte, weshalb die ansonsten so kluge Frau sich in Liebesdingen als so leichtgläubig und berechenbar erwiesen hatte. Ihr fehlte jegliche Erfahrung; die verheiratete Kaiserin war rein wie die Jungfrau Maria gewesen! Niemand hatte sie in ihrer Jugend am Karlshof entjungfert, und Ludwig hatte die Ehe mit ihr nie vollzogen. Schnell überwand er sein Staunen und sann darüber nach, wie er das Wissen um des Kaisers offenkundiges Versagen zu seinem Nutzen verwerten könnte. Dabei wäre ihm fast entgangen, wie Judith ihm das glühende Gesicht zum Kuss entgegenhob und in der lingua romana flüsterte: »Zeig mir noch einmal, was Liebe ist.«
So hatte es angefangen.
Und Bernhard sorgte dafür, dass Judith seiner nicht müde wurde. Verlocken, hinhalten, erlösen, kalte und heiße Wechselbäder, die ihrem
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