Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
Reich durch einen Bußgang zu entbürden wünscht …«, begann Ebbo etwas hilflos.
    Judith wusste nicht, ob sie den dicken Mann mit den verwüsteten Augen für diese Worte lieben oder hassen sollte. Wie überhaupt derzeit eine Vielzahl widerstreitender Gefühle in ihrer Brust wogte. Sie beugte sich vor. Lothar und Pippin hatten die Köpfe zusammengesteckt.
    »Er wird wohl wieder mal in der Kapelle das Elend der Welt beweinen«, hörte sie Lothar seinem Bruder Pippin zuflüstern. »Anstatt seine Kraft dafür aufzuwenden, es abzuschaffen.«
    Auch Einhards in der Hofschule geschärftem Gehör war diese Bemerkung nicht entgangen. Scharf wies er Lothar zurecht: »Dein Vater, der Kaiser, wendet sich zur Beseitigung des Elends auf der Welt in aller Demut an die einzige Macht, die grundsätzlich für bessere Zustände sorgen kann.«
    »Amen«, sagte Graf Wala und löste die Versammlung auf.
    Judith blieb auf ihrem Schemel sitzen, als sich die Männer erhoben.
    »Die Kaiserin!«, rief Ebbo überrascht und leicht missgestimmt. Frauen hatten in der Beratungskammer nichts zu suchen.
    »Ich wollte mit meinem Gemahl reden.«
    »Er spricht gerade mit einer höheren Instanz«, bemerkte Bernhard und machte sich an einem verrußten Wandlicht zu schaffen. Verärgert schien er seine schwarzen Finger zu begutachten, während die anderen Männer mit tiefen Verneigungen vor Judith den Raum verließen. Bernhard wischte sich die Hände an seinen Ärmeln ab und knurrte: »Ich frage mich wirklich, warum niemand die Bediensteten zurechtweist!«
    Judith erhob sich und flüsterte im Vorbeigehen Bernhard zu: »Sieh in der Kapelle nach, ob er da bleibt. Komm dann unverzüglich zu mir. Natürlich über den geheimen Weg. Eil dich!«
    Lothar und Einhard irrten sich. Ludwig beweinte nicht das Elend der Welt. Er verlor keinen Gedanken an den bedrohlichen Eisgang in seinem Reich, an einstürzende Brücken, überflutete Auen, ertrinkendes Vieh, die Folgen der Missernte und erfrierende Untertanen. Ein völlig anderes Unheil bewegte den Kaiser, eine Katastrophe höchst privater Natur. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Voller Verzweiflung warf er sich in der Pfalzkapelle vor dem Hauptaltar auf den Boden und flehte den Herrn an, ihm seine Not zu nehmen und ihm wieder seine Manneskraft zu schenken, die ihn just in jenen Augenblicken im Stich ließ, wenn er den Leib Judiths an seinem spürte. In seiner nunmehr dreijährigen Ehe war er nicht ein einziges Mal zu jener Tat imstande gewesen, die der Zeugung von Nachkommen diente. Dabei begehrte er Judith wie noch nie eine Frau zuvor, liebte sie mit bedingungsloser Hingabe. Und zweifelsfrei handelte es sich um kein körperliches Gebrechen, das Männer in der zweiten Lebenshälfte gelegentlich heimzusuchen pflegte. Er war nicht krank. Denn beim Anblick Judiths, ja, schon, bei dem Gedanken an sie, spürte er, wie das Blut in seine Lenden schoss und sich seine Männlichkeit aufrichtete. Doch jedes Mal, wenn er sich zu ihr legte, welkte sein Geschlecht dahin.
    Bernhard vergewisserte sich, dass der Kaiser tatsächlich im Kirchenstaub lag. Da Ludwig dies immer geraume Zeit aushielt, konnte er Judiths Aufforderung nachkommen. Er eilte den Gang der Kinderkammern entlang. Von Ruadberns Stube führte jene verborgene Treppe, über die Gerswind zu Zeiten Karls des Großen so schnell zu Judith hatte kommen können, unmittelbar hinauf in die kaiserlichen Gemächer. Bernhard war höchst besorgt. Noch nie hatte Judith ihn außerhalb der festgesetzten Stunden zu sich befohlen und schon gar nicht mit solcher Dringlichkeit. Er war von ihrer Aufforderung so bestürzt, dass er nicht einmal merkte, wie ihm jemand verstohlen folgte.
    Bernhard hielt sich viel darauf zugute, in jeder Lage einen kühlen Kopf bewahren zu können, aber jetzt durchlief es ihn heiß. Ahnte der Kaiser etwas? Hatte er sich deswegen im Rat so seltsam verhalten? Wusste er gar Bescheid? Dann war er, Bernhard, ein toter Mann! Sein Herz begann zu rasen. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich zu sammeln. Es hatte keinen Sinn, sich verrückt zu machen.
    War das ein Rascheln hinter ihm? Er blickte über seine Schulter und mühte sich, im schwach beleuchteten Gang etwas zu erkennen. Doch die dunkel gekleidete Gestalt, die sich rasch an eine Tür gedrückt hatte, entging ihm; er sah niemanden und schüttelte vor Ärger über seine Bangigkeit den Kopf. Angst vor Entdeckung war zum ständigen Begleiter ihrer Liebschaft geworden, aber sie hatten stets höchste

Weitere Kostenlose Bücher