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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Abschieds und unzähliger Gebete hatte das halbe Jahr Trennung ihre Gefühle für Bernhard nicht verringert, sondern sie, im Gegenteil, eher noch verstärkt. Dabei hatte sie sich solche Mühe gegeben, ihn zu vergessen, sich gelegentlich sogar erfolgreich verboten, an ihn zu denken. Doch über ihre Träume hatte sie keine Macht. Es verging kaum eine Nacht, in der sie nicht den kräftigen Körper Bernhards umarmte, seine Lippen auf ihren spürte und vor Leidenschaft erschauerte. Wie konnte sie sich nur von dieser Tollheit befreien!
    Ihr Herzschlag stockte, als es an der Tür klopfte. Er wird es nicht wagen, nicht jetzt, dachte sie und hoffte es doch. Aber es war nur Ruadbern.
    »Er ist wieder da«, sagte der Knabe mit wissenden Augen.
    »Wer?«, fragte Judith unschuldig.
    Der Zwölfjährige antwortete nicht. Er ging zum Fenster und schloss die Holzläden. »Glas gibt es auf dieser Pfalz nicht«, bemerkte er und setzte hinzu: »Glas ist durchsichtig.«
    »Na und?«, gab Judith ungehalten zurück.
    »Man kann hindurchsehen.«
    Judiths Aufmerksamkeit war geweckt. Ruadbern sagte nie etwas Unnötiges.
    »Und was sieht man da?«, fragte sie vorsichtig.
    »Man muss ja nicht dem Auftrag nachkommen und über alles, was man sieht, Bericht erstatten«, erwiderte der Knabe. »Zumal es im letzten Halbjahr nichts zu berichten gab.«
    Er lächelte ihr freundlich zu und verließ das Zimmer.
    Es dauerte ein wenig, bis die Botschaft zu Judith durchgedrungen war. Dann begriff sie.
    Ludwig lässt mich beschatten! Von einem Knaben, der mir Treue geschworen hat! Ludwig zweifelt an mir! Welch eine Unverschämtheit! Die ganze Wut, die sich seit Ludwigs Auspeitschung durch den Totengräber in ihr gestaut hatte, entlud sich in der Empörung über Ruadberns Eröffnung. Na warte, Ludwig, dachte sie, das wirst du mir büßen!
    Da erst fiel ihr ein, dass ihr Gemahl die nächsten beiden Tage ununterbrochen würde büßen müssen. Sie rief ihre Kammerfrau und befahl ihr, das schönste Gewand und die edelsten Geschmeide herzurichten. Vor ihrem Spiegel überlegte sie, welche der kostbaren Mittel aus den fernen Ländern des Orients ihre Schönheit noch besser zur Geltung bringen könnten. An diesem Abend wollte sie alle noch mehr als sonst überstrahlen. Niemand sollte ihr ansehen, wie sehr sie sich durch Ludwigs Handlung gedemütigt fühlte, und Bernhard sollte sich vor Sehnsucht nach ihr verzehren. Dann sehen wir weiter, dachte sie befriedigt. Wegschicken kann ich ihn immer noch. In ihrem Herzen aber wusste sie, dass sie das gerade an diesem Abend nicht fertigbringen würde.

Zweites Buch
    Des Kaisers Herrin

5
    Aus den Chroniken der Astronoma
    Im Jahr des Herrn 823
    Das Jahr beginnt mit bedrohlichen Vorzeichen. In Sachsen fallen flammende Steine vom Himmel, die fünfunddreißig Dörfer in Brand stecken. Der Süden des Reichs wird von großen Erdbeben erschüttert, und faustgroße Hagelkörner bedecken die Felder im Osten. Unter den Pferden wütet eine Seuche. Kaiser Ludwig betrachtet diese Erscheinungen als Hinweis auf großes künftiges Unheil. Er fordert seine Untertanen auf, viel zu fasten, zu beten und reichlich Almosen zu verteilen. Berta, die Schwester Kaiser Ludwigs, Mutter von Nithard und Hartnid, stirbt. Kaiserin Judith ist abermals guter Hoffnung. Sie hält sich seit November ununterbrochen in der Pfalz zu Frankfurt auf. Um es seiner Gemahlin behaglich zu machen, hat Ludwig dort die kaiserlichen Gebäude erweitern und neu ausstatten lassen.
    Höchstselbst hat er die Kaiserin nach Frankfurt begleitet, wo er zum ersten Mal seit acht Jahren wieder verweilt. Er plant, die Beziehungen zum deutschen Teil des Reiches zu verbessern. Lothar, der älteste Sohn des Kaisers, hat sich ein halbes Jahr lang mit seiner Gemahlin und Graf Wala in Italien aufgehalten, um dort die Ordnung wiederherzustellen. Auf der Rückreise ins Frankenland lädt ihn Papst Paschalis nach Rom ein. Am Ostertag erwartet den Kaisersohn in der Peterskirche die gleiche Überraschung, die Papst Leo III. am Weihnachtstag des Jahres 800 seinem Großvater Karl bereitet hat. Der Heilige Vater setzt ihm eine Krone auf huldigt ihm als Kaiser der Römer und salbt ihn. Dass dies wohl weniger als Ehrung, sondern eher als Warnung zu verstehen ist – die Kaiserwürde soll vom Papst ausgehen –, wird nach Lothars Abreise deutlich. Zwei hohe Beamte der römischen Kirche, die sich in Rom mit Lothar angefreundet hatten, lässt der Heilige Vater erst blenden und dann köpfen.
    Bernhard, Sohn

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