Die Welfenkaiserin
uns aussieht.
Ruadbern war vor dem Palatium auf sie zugetreten. Ihr war nicht entgangen, dass die Wachen einen neuen, viel weiteren Kreis um die Hofgebäude gebildet hatten und mit Mühe Bewohner Aachens zurückdrängten.
»Hure!«
»Hexe!«
»Teufelin!«
»Metze!«
Die wütenden Rufe aus der Menge konnte niemand zurückdrängen.
Ohne wie früher dem Volk zuzuwinken, wandte sich Judith um und kehrte ins Gebäude zurück. Eine plötzliche Wut auf Bernhard ergriff sie. Er war längst nicht so umsichtig, wie sie geglaubt hatte, längst nicht so klug. Noch vor ihm hatte sie zu Recht an jenem Mann gezweifelt, den Pippin als Späher am Hof untergebracht hatte. Bernhards Befürwortung des Feldzugs in die Bretagne zeigte, wie wenig Gespür er für die Lage im Land hatte. Und dieses Abenteuer ausgerechnet auch noch in die Fastenwoche zu verlegen! Vielleicht gerade weil sie nicht viel von militärischen Angelegenheiten verstand, glaubte Judith das Zusammenwirken aller Kräfte besser einschätzen zu können. Eine noch größere Befähigung dazu vermutete sie in ihrem treuen Ruadbern.
»Was rätst du mir?«, fragte sie ihn.
Er dachte nicht lange nach.
»Auf keinen Fall länger hierzubleiben«, erwiderte er. »Du hast die Rufe selbst gehört. Bring dich vorübergehend in einem Kloster in Sicherheit. Besuch deine Mutter in Chelles, und nimm Karl mit.«
»Und dich!«, flehte Judith.
Ruadbern schüttelte den Kopf.
»Du brauchst mächtigeren Schutz, und ich habe derzeit wichtige Aufgaben an der Hofschule. Einhard ist über jeden Verdacht erhaben. Keiner wird wagen, dich in seinem Beisein anzugreifen.«
Es kostete beide drei Tage und große Mühe, Einhard zu überreden. Der alte Mann schützte Krankheit vor, Ermattung, die Unfähigkeit, Stunden im Sattel zu verbringen, und die vielen Arbeiten, die er noch abzuschließen habe, bevor er seiner Emma ins Grab folge. Seine Chronik über die Regierungszeit Karls des Großen harre der Vollendung, sagte er, und hier hakte Ruadbern ein.
»Meister«, sprach er zu Einhard, »hast du mich nicht gelehrt, dass zu viele Ausflüchte das schwächste Argument sind? Und dein letzter Vorwand fordert mich zu einer Frage heraus. Was ist wichtiger: die Sicherung der Beschreibung des Lebenswerks von Karl dem Großen oder die Sicherung des Lebenswerks an sich?«
»Ich sehe nicht, wie ich sein Lebenswerk durch eine Reise sichern kann«, hatte Einhard fast bockig erklärt. Es behagte ihm ganz und gar nicht, dass sich sein Zögling so für eine Frau einsetzte, die der Kaiser niemals hätte heiraten dürfen. Einhard erinnerte sich noch sehr gut an den Aufruhr, den das zerrupfte Wesen bei der Brautschau verursacht hatte, und an sein Unbehagen, als dem Kaiser diese Frau nicht auszureden gewesen war. Schon damals hatte ihn ein ungutes Gefühl beschlichen. Aber da seine Emma geradezu entzückt gewesen war, die Nichte ihrer alten Freundin Gerswind wieder am Hof zu haben, hatte er gute Miene zu einem Spiel gemacht, das sich mittlerweile als äußerst böse herausgestellt hatte. Sicher, Judiths Wissbegier, ihre schnelle Auffassungsgabe und ihre Gescheitheit hatten ihn in ihren Jugendjahren an der Hofschule auch berückt – für ihre Schönheit hatte er keinen Blick –, aber gerade das Wissen um diese Eigenschaften könnten eine solche Frau dazu verleiten, sich über ihren Mann zu erheben. Und wenn dieser gar der Kaiser war, der es auch noch zuließ, dass sich seine Gemahlin in Dinge einmischte, die mit der Lenkung des Reichs zu tun hatten, war große Gefahr im Verzug. Das Gerücht über Judith und Bernhard verwies Einhard in den Bereich der Mär. Keiner von beiden sei so dumm, erklärte er empört, wenn er darauf angesprochen wurde. Dabei vergaß er, wie dumm er sich selbst einst angestellt hatte, als er seine Emma im Schneegestöber nächtens heimlich besucht hatte und König Karl ihm im wahren Sinn des Wortes auf die Spur gekommen war.
»Kaiser Karls Lebenswerk«, sagte Ruadbern langsam, »offenbart sich auch in seiner Familie. Was würde er wohl sagen, wenn du seinem Enkel und seiner Schwiegertochter, die er, wenn auch nicht als solche, aber doch als kleines Mädchen gekannt und geschätzt hat, den Beistand verweigerst?«
Einhard knurrte. Was fiel dem Knaben ein, ihn jetzt an Kaiser Karls Schwäche für hübsche kleine Mädchen zu erinnern?
Widerwillig sagte er zu, Judith am nächsten Tag zu begleiten.
Aber schon in Valenciennes gab er auf und erklärte, sich zu schwach für die Weiterreise zu
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