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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ihrem Mantel trug sie nichts bei sich, womit sie sich hätte verteidigen können. Sie tastete den Waldboden neben sich ab und stieß auf das Kinderschwert, das Karl vor dem Schlafengehen abgelegt hatte. Sie zog es aus der Scheide. Zum ersten Mal war sie dankbar für den scharfen Schliff und die spitze Klinge. Mit dieser Waffe würde sie zumindest kleinere Tiere abwehren können.
    Als die ersten Strahlen der Morgensonne durchs Blätterdach des Waldes drangen, weckte sie ihren Sohn. Er setzte sich sofort auf, rieb sich die Augen und blickte ungläubig um sich.
    »Wo sind alle?«, fragte er.
    »Sie sind bereits vorausgeritten«, erwiderte Judith munter. »Wir wollten dich nicht wecken. Das kleine Stück, das wir noch vor uns haben, können wir auch zu Fuß gehen.«
    Der Siebenjährige maulte nicht, sondern schien den Ernst der Lage zu begreifen. Mit wissendem Blick sah er seine Mutter an.
    »Das sagst du nur, um mir nicht Angst zu machen«, entgegnete er. »Aber ich bin kein kleines Kind mehr.« Seine Augen wurden eine Spur größer. »Sie hätten uns umbringen können!«
    »Das haben sie wohl nicht gewagt«, erklärte Judith, dankbar, dass sie ihrem Sohn nichts vorzuspielen brauchte. Er war wirklich kein kleines Kind mehr. Sie hielt es nicht für ausgeschlossen, dass die Männer ihnen irgendwo auflauern und einen Schaden zufügen könnten, den sie später als bedauerlichen Unglücksfall bezeichnen würden. »Aber wir müssen vorsichtig sein, Karl. Deshalb werde ich jetzt dein Schwert tragen.«
    »Es ist aber mein Schwert!«, entgegnete er ungestüm. »Ich werde es tragen und dich beschützen!«
    Sie reichte es ihm. »Dann gib mir eine Hand, und halte es in der anderen.« Im Notfall würde sie es ihm entreißen können.
    »Ich habe Durst!«
    »Sie haben alles mitgenommen, Karl. Wir müssen uns bis zum nächsten Wasserlauf gedulden. Komm, wir gehen jetzt.«
    Ihren pelzbesetzten Reisemantel ließ sie auf dem Waldboden liegen. In ihrem schlichten dunklen Kleid würde sie weniger auffallen, wenn sie in eine bewohnte Gegend kämen. Nach den Rufen, die sie vor dem Aachener Palatium gehört hatte, war es wohl verständig, sich jedes Hinweises auf ihre Stellung zu entledigen. Sie erschauerte. Würde es das Volk wirklich wagen, die Kaiserin und ihren Sohn tätlich anzugreifen?
    Mit der Sonne im Rücken folgte sie ohne Zwischenfälle den Spuren ihres treulosen Gefolges durch den Wald. Neben ihr plapperte Karl vor sich hin und malte in grässlichen Farben aus, wie sein Vater, der Kaiser, die bösen Männer bestrafen würde: »Von Bären zerfleischen lassen, die Gedärme aus dem Leib ziehen, an den Füßen über einem Feuer aufhängen …« Judith ließ ihn reden und hörte nicht hin.
    Noch bevor die Sonne den höchsten Stand erreicht hatte, traten sie aus dem Wald in die Ebene. Verblüfft blickte Judith auf die weitläufige Klosteranlage vor sich. Die hätten sie am Vortag noch mühelos vor Einbruch der Dunkelheit erreichen können.
    Sie hatten schon fast das Tor der Abtei erreicht, als plötzlich eine Horde ihr unbekannter Männer hinter einer Mauer hervorsprang und brüllend auf sie zustürzte. Als wäre sie eine Festung, die es einzunehmen galt.
    »Tötet die Lustdirne!«, schrie einer. Judith riss Karl das Kinderschwert aus der Hand. »Lauf!«, schrie sie und deutete auf das Tor. Ohne sich zu besinnen, rannte der Knabe los.
    Mit dem lächerlich kurzen Schwert in der Hand, erwartete Judith den Angriff.
    »Ich bin Kaiserin von Gottes Gnaden!« Ihre tiefe Stimme dröhnte über dem Geschrei. »Wollt ihr in der Hölle braten?«
    Der erste Mann, der jetzt nur noch wenige Fuß von ihr entfernt war, hielt kurz inne. Die irrsinnige Freude, die sich soeben noch in seinen blitzenden Augen gespiegelt hatte, wich plötzlich einem unsicheren Flackern. Lautes Geläut ertönte. Karl hatte das Tor erreicht und zog verzweifelt am Glockenstrick. Der erste Angreifer blieb zwar immer noch wie angewurzelt stehen, aber über die Gedanken der anderen Männer fehlte ihr die Macht. Einer war um sie herumgegangen, entriss ihr mit höhnischem Gelächter Karls Kinderschwert, warf es in hohem Bogen weg, stieß sie mit einem Fußtritt zu Boden und stellte sich auf ihren langen blonden Zopf.
    »Eine Kaiserin ohne Gefolge!«, höhnte er. Die anderen fünf oder sechs scharten sich jetzt in einem Kreis um die im Staub liegende Frau. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie das Tor der Abtei geöffnet wurde und Karl hindurchhuschte.
    »Eine Kaiserin ohne Zepter!«,

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