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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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den Jahren 830 und 831
    Die finstere Miene der Äbtissin lässt wahrlich nichts Gutes ahnen, dachte Judith, als sie bei strahlendem Frühlingswetter mit ihren Wächtern unter dem bösen Geschrei der Leute vor dem Radegundis-Kloster zum Heiligen Kreuz in Poitiers vom Pferd stieg. Graf Hugo begrüßte Äbtissin Philomena wie eine vertraute Freundin und unterhielt sich angeregt mit ihr, ohne ihr die Gefangene vorzustellen. Judith schnappte das halblaute Wort ›Teufelsbraut‹ auf und trat näher, als sie das angewiderte Gesicht der Äbtissin sah.
    »Ich bin all der mir vorgeworfenen Verbrechen unschuldig!«, erklärte sie vernehmlich.
    »Schweig!«, herrschte die Äbtissin sie an und setzte unter dem beifälligen Nicken Graf Hugos barsch hinzu: »Gewöhn dich lieber gleich daran, bei uns nicht unaufgefordert zu sprechen. Über deine Taten wird hier nicht gerichtet.«
    Sie drehte Judith wieder den Rücken zu.
    »Es wurde das Todesurteil verhängt«, ergriff Graf Hugo abermals das Wort. »Doch in seiner Güte hat der Kaiser dieses Weib begnadigt. Er selbst hat eingestanden, durch die Zauberin verblendet und verhext worden zu sein. Sie ist die Wurzel all des Übels, welches dieses Reich befallen hat!«
    Als sich ihr die Äbtissin wieder zuwandte, las Judith unverhohlenen Abscheu in ihrem Blick. Sie ärgert sich, dass ihr die Last aufgebürdet wird, die ehemalige Kaiserin zu bewachen, dachte Judith, und glaubt, mit meinem Eintritt in ihr Kloster sei der beschauliche Frieden dahin. Sie wird sich wundern! Ich werde eine vorbildliche Nonne abgeben, nahm sie sich vor und freute sich fast auf diese Herausforderung.
    Als sich die Äbtissin erkundigte, ob sie aus freiem Willen der Welt entsagen und sich an die Klosterregel halten wolle, zögerte Judith nur einen winzigen Augenblick, ehe sie diese Frage bejahte. Sie durfte den geheimen Plan, den sie mit Ludwig ausgeheckt hatte, weder aus Wut noch aus Stolz gefährden. Und dazu gehörte die formelle Erklärung, ihre Klosterhaft als freiwillig zu bezeichnen.
    Graf Hugo forderte die Äbtissin mit Befehlsstimme auf, Judith sogleich zur Nonne zu machen. Außerdem dürfe sie auf Geheiß des regierenden Mitkaisers Lothar von niemandem besucht werden.
    Die Verwünschungsrufe, die Judith auf dem ganzen Weg nach Poitiers begleitet hatten, drangen noch über die Mauern, nachdem sie den Klosterhof betreten hatte. Das Volk verlangte den Kopf der einstigen Kaiserin. Äbtissin Philomena wollte wieder hinausgehen, um die Leute zu verscheuchen, aber Judith bat sie, ihre Kräfte zu sparen. »Diese Menschen sind gleichfalls Opfer«, sagte sie. »Werkzeuge meiner Feinde. Aber sie wissen es nicht, und das darf man ihnen nicht übel nehmen. So wie man es einem einfachen Menschen nicht übel nehmen darf, wenn er seinen Namen nicht schreiben kann. Man sollte allerdings aufpassen, dass niemand anders in seinem Namen unterzeichnet. Irgendwann werden diese armen Leute der wilden Schreie müde sein und sich auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen.«
    Nachdenklich musterte die Äbtissin die künftige Nonne, vor deren Beredtheit und Verstellungskunst Graf Hugo gewarnt hatte. Sie würde sich von ihr und ihrer milden Rede nicht einwickeln lassen und ihr sehr genau auf die Finger schauen. Hier war sie keine hohe Frau, sondern eine Nonne wie alle anderen auch. Das würde sie sehr schnell begreifen, wenn sie die Abortgrube aushob.
    »Sei auf der Hut, ehrwürdige Mutter«, hatte der Graf die Äbtissin soeben beschworen. »Der Teufel scheut nicht, sich vermeintlich frommer Menschen zu bedienen. Ich zweifele daran, dass Klostermauern sie davon abhalten werden, ihre Zaubertränke zu brauen – vielleicht unter dem Vorwand, den Kranken zu helfen! Lasst das nicht zu; gib Acht, und halte sie vom Kräutergarten fern.«
    Das war nicht erforderlich, da Judith nicht das geringste Interesse für Kräuter an den Tag legte. Überhaupt schien sie sich erstaunlich mühelos in ihren neuen Stand zu fügen, wie Äbtissin Philomena Graf Hugo bei seinem Besuch aus dem nahe gelegenen Tours wenige Wochen später mitteilte. Die Äbtissin hatte es Judith wahrlich nicht leicht gemacht, ihr die unangenehmsten Aufgaben übertragen, sie für die geringfügigste Nachlässigkeit streng bestraft und ihr mehr abverlangt als je einem Neuzugang im Kloster zuvor. Doch Judith ertrug alles mit Geduld und Demut; Äbtissin Philomena entdeckte keine Spur des Stolzes, den man von einer einstigen Kaiserin erwarten konnte, keinen Ungehorsam und nicht den

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