Die Welfenkaiserin
Vollmondnacht hatte sie den Einlass zu einem möglichen Geheimgang zwar immer noch nicht ausfindig gemacht, aber neue Hoffnung geschöpft. Als sie nämlich nach dem Morgengebet Efeu an der Klostermauer zurückgeschnitten hatte, war sie auf ein schmales Kellerloch gestoßen, das bislang hinter dem Grün verborgen geblieben war. Doch es herrschte allzu reger Betrieb auf dem Hof, als dass sie sogleich hätte hindurchschlüpfen können. Sie betrachtete es als Fügung, zum Wäschewaschen im Klosterhof eingeteilt worden zu sein. In einem unbeobachteten Augenblick würde sie sich aus der Kapelle ein Licht holen und das Kellerloch erforschen können.
Während sie Holzasche und Wasser zu einem Brei verrührte, beobachtete sie aus den Augenwinkeln zwei Schwestern, die, auf Hockern in der Sonne sitzend, fröhlich plaudernd Linsen aussortierten. Judith erkannte beglückt, dass die beiden bald ins Küchenhaus zurückkehren würden. Vorsichtig schüttete sie kochendes Wasser aus dem großen Kessel auf der Feuerstelle in den Bottich mit der Schmutzwäsche.
Die Kaiserin wäscht Linnen, dachte sie, so wie einst die nordische Königstochter Gudrun, die gleichfalls aus der Mitte ihrer Lieben gerissen und verleumdet worden war. Eine der heidnischen Geschichten, die ihr Gerswind früher erzählt und die ein gutes Ende gefunden hatte. Wenn alles nach Plan lief, würde auch sie, Judith, bald wieder heimkehren können. Sie erlaubte sich einen der kostbaren Augenblicke der Sehnsucht nach ihrem alten Leben.
Rührung übermannte sie, als sie an das letzte Gespräch mit Ludwig in Compiègne dachte. Wie hilflos er sie angesehen und gefragt hatte, ob sie ihn nicht doch lieber los sein wolle, da er ihr nur Unglück gebracht und sie nie glücklich gemacht habe. Das sei doch nicht wahr, hatte sie gesagt, sie liebe ihn mehr als jeden ihrer Brüder, und Glück bestehe doch wohl nicht allein aus Beischlaf. Sie erinnerte sich an sein entsetztes Gesicht, als sie dieses Wort gebraucht hatte. Aber dann hatte sie noch ganz andere Worte gebraucht, und seine Miene hatte sich erhellt.
»Man hat dich überlistet«, sagte sie zum Schluss, »aber du wirst allen zeigen, dass die Findigkeit des Kaisers die seines ältesten Sohnes übertrifft. Hinterlist muss mit gleicher Waffe bekämpft werden.«
Sie setzte ihm den Plan auseinander, den sie während des unerfreulichen Ritts mit Graf Hugo von Laon nach Compiègne geschmiedet hatte und der ihre kleine Familie wieder ins Aachener Palatium zurückbringen sollte. Ludwig war zunächst zurückgeschreckt. »Ich soll dich verleugnen? Mich in aller Öffentlichkeit gegen dich stellen und zugeben, du hättest mich verhext? Zuhören müssen, wie du zum Tode verurteilt wirst? Und dann meinem verräterischen ältesten Sohn die Kaiserkrone zusprechen? Niemals!«, hatte er abgelehnt. Sie war in ihn gedrungen, hatte ihn zur Verstellung angehalten und zur Ausdauer. Es gebe keine andere Möglichkeit, Karls Zukunft zu sichern, hatte sie gesagt und den Mann, der sich für den Vater dieses Knaben hielt und ihm einer war, in den Arm genommen.
Wir werden es schaffen, dachte sie grimmig, als sie den Brei aus Holzasche und Wasser in ein Tuch gab, und wir werden uns an allen rächen, die für unser jetziges Elend verantwortlich sind! Sie drückte das gefüllte Tuch zusammen, als schnürte sie den Verantwortlichen für ihre Schmach die Luft ab, und presste den Inhalt, so fest sie nur konnte. Jetzt war das Waschmittel fertig. Während sie es über die Wäsche verteilte, dachte sie daran, wie Ludwig beim Namen seines Lieblings Karl die Augen feucht geworden waren.
»Wenn es nur um mich ginge«, hatte er gesagt, »dann würde ich der Welt entsagen und sie meinen Söhnen überlassen. Aber sie sind unter sich uneins und gönnen ihrem jüngsten Bruder keinen Anteil. Ich bin schwach, Judith, so wie mein Vater immer gesagt hat. Aber du hast die Kraft, unserem Sohn sein Recht zu sichern. Ich werde genau das tun, was du sagst, mich genau so verhalten, denn auch mir erscheint das als der einzig gangbare Weg.«
»Obwohl ich dich verhext habe?«, hatte sie etwas zu übermütig gefragt. Da war er in Tränen ausgebrochen. Höchst unbehaglich wurde ihr zumute, als er ihr unter Schluchzen versicherte, nie einer Heiligen näher gewesen zu sein. Sie konnte nicht wissen, dass ihn in der ganzen Zeit dieser Erschütterung ein einziges Bild vor dem Zusammenbruch bewahrt hatte, ein Bild, das ihn mehr als alles andere von ihrer Unschuld überzeugte: Judith,
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