Die Welfenkaiserin
die in ihrem weißen Nachtgewand mit dem Gürtel aus Gold und Edelsteinen wie eine römische Vestalin über ihm gethront hatte. Diese Frau war für Ludwig rein wie gefallener Schnee. Und Karl, die Frucht aus dem Leib dieses geliebten, unfreiwillig keuschen Weibes, war dazu ausersehen, die Nachfolge seines Namensgebers anzutreten. Doch diesen Gedanken hütete Ludwig in seinem Herzen.
Genau in dem Augenblick, da Judith mit einem riesigen Holzlöffel die Wäsche im Bottich umrührte, saß Ludwig zwischen all den Mönchen in Compiègne und brütete über Vergangenheit und Zukunft nach. Nie verließen ihn die Gedanken an Judith und seinen Sohn. Karl der Große, mein Vater, den ich gehasst habe, weil ich ihm nie etwas recht machen konnte, der aber das Reich erfolgreich regiert hat, ist in seinem Enkel auferstanden, überlegte er. Das würde all die fürchterlichen Taten rechtfertigen, die er, Ludwig, einst begangen hatte, um die Macht zu erlangen.
Da er mit Judith nie darüber gesprochen hatte, konnte sie nicht wissen, was in ihm vorging, musste glauben, dass er nur von der Gegenwart sprach. Doch ihn belastete die Vergangenheit schwer, und all seine Bußgänge hatten ihn davon nicht befreien können. Jetzt sah er die Zeit gekommen, vor sich selbst endlich Reue bezeugen zu können – indem er sich entgegen seiner Neigung der verabscheuten Welt aussetzte und für Weib und Sohn den Kampf um den Kaiserthron aufnahm. Er betete, dass seine Frau in Poitiers gut behandelt wurde, und konnte die Rückkehr Ruadberns kaum erwarten.
Die beiden Schwestern auf dem Klosterhof hatten ihre Arbeit beendet. Judith atmete tief durch, als sie mit Schüsseln und Hockern im Küchenhaus verschwunden waren. Sie eilte zur Kapelle, entzündete rasch ein Licht und sprach ein kurzes Gebet, auf dass es ihr auf dem Gang über den Hof nicht erlöschen möge. Die Flamme vor dem lauen Frühlingswind mit der Hand schützend, ging sie geschwind über den Hof zum Kellerloch, schob die Ranken zur Seite, stieg ein und sah sich um. In dem winzigen Raum mochten früher Vorräte gelagert haben. Da er jetzt leer war, entdeckte sie sogleich ein paar seltsam eingesetzte Steine in einer Wand. Sie stellte ihr Licht ab, staunte, wie leicht das etwas bröcklige Gestein herauszunehmen war, und unterdrückte einen Jubelschrei, als sich dahinter ein Gang auftat. Sie versuchte hindurchzukriechen, doch er war an einer Stelle etwas eingebrochen. Mit bloßen Händen räumte sie den Schutt beiseite und warf ihn in den Kellerraum. Staunend sah sie am Ende des kurzen Gangs Tageslicht durch Gesteinspalten dringen. Sie kroch rasch dorthin und drückte einen kleineren Stein hinaus, um Ruadbern die Stelle anzugeben. Er hat es bestimmt bis hierher geschafft, dachte sie, und wunderte sich, mit welcher Zuversicht sie an die Befähigungen ihres Edelknechts glaubte. Sie krabbelte zurück, setzte die anderen Steine flüchtig wieder ein und schob mit den Füßen den Schutt in eine Ecke des Kellerlochs.
In der übernächsten Nacht war es endlich so weit. Sie schlich sich aus dem Dormitorium, überzeugte sich auf dem Hof vom Stand des Vollmonds und kroch mit einem winzigen Licht in der Hand durch den Gang, der ihr in dieser Stunde viel länger als am Tag erschien. Gerade, als sie vermeinte, in der Enge zu ersticken, hörte sie das Gemecker von Ziegen und Ruadberns beruhigende Stimme, der den Tieren leise zusprach. Aus den Überresten des alten Gemäuers der einstigen Männerabtei war ein Ziegenstall geworden. Ruadbern hatte so viele Steine von der Außenwand entfernt, dass Judith mühelos hinausschlüpfen konnte.
»Mein Edelknecht!«, flüsterte sie erleichtert, setzte ihr Licht ab und fiel ihm um den Hals. Er drückte sie kurz an sich, ließ sie aber schnell wieder los, deutete an sich herab und bemerkte: »Eine Umarmung erscheint ungehörig.«
Er trug eine Mönchskutte.
Judith entschlüpfte ein Lachen. Rasch hielt sie sich die Hand vor den Mund und brachte dann flüsternd hervor: »Wenn die Erbauer dieses Ganges diese Ansicht geteilt hätten, gäbe es ihn nicht! Sag schon, mein Guter, wie entwickelt sich unser Plan?«
Ruadbern musterte Judith nachdenklich. Hätte sie nicht als Erstes nach dem Befinden Ludwigs fragen sollen? Langsam und etwas steif berichtete er ihr alles und schloss mit den Worten: »Also läuft es genau wie vorgesehen. Am meisten bewundere ich das Verhalten des Kaisers. Er macht unsere Feinde glauben, dass er täglich mehr Geschmack am Mönchsleben empfindet. Und
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