Die Welfenkaiserin
ihr einen Blick, bei dem Heilwig das Herz aufging.
Bereits wenige Stunden später war Judith reisebereit. Ihr Vater hatte zwar angeboten, sie, eine Woche später mit einem kleinen Reisezug selbst nach Aachen zu begleiten, doch Judith zog es vor, noch am selben Tag gen Norden zu ziehen. Dafür hatte sie einen ganz bestimmten Grund. Sie hatte sich nämlich bei Frau Stemma nach der Reiseroute erkundigt und erfahren, dass ein Halt in Prüm geplant war. Dort sollte der Reisezug einer anderen Bewerberin zu ihnen stoßen. Und in Prüm lebte Gerswind. Für ein Wiedersehen mit der geliebten Tante war Judith bereit, die Begleitung der grässlichen Frau Stemma zu ertragen. Sie hoffte, der andere Reisezug möge sich verspäten, denn sie wollte so viel Zeit wie möglich mit Gerswind verbringen, von der sie zehn Jahre lang am Kaiserhof betreut worden war. Sie machte sich Sorgen um die Tante, denn in den vergangenen vier Jahren hatte sie aus Prüm nur ein einziger Brief erreicht.
Begleiten sollten sie nicht nur die kaiserlichen Boten, eine Magd aus dem Haushalt des Grafen und zwei seiner Männer, sondern auch ihr Bruder Konrad. Der war zwar zum Schutz der Schwester abgestellt worden, sollte sich aber auch in Aachen selbst nach einer Braut umsehen.
»Der Kaiser kann schließlich nur eine einzige der edlen Jungfrauen heiraten«, erklärte Graf Welf, »aber alle anderen gehören zu den Schönsten des Landes und stammen von den besten Familien ab. Eine günstigere Gelegenheit zu einer guten Einheirat kann es gar nicht geben. Nicht nur viele schöne Mädchen machen sich also derzeit auf den Weg nach Aachen, meine Lieben, sondern auch anspruchsvolle junge Männer aus allen Reichsteilen. Ich verspreche euch, dass keines der erwählten Mägdelein ohne Freier bleiben wird. Nicht einmal unsere Judith!«, setzte er triumphierend hinzu und wandte sich an seinen ältesten Sohn. »Ich vertraue deinem Urteil, Konrad«, sagte er. »An Vaters statt kannst du deine Schwester irgendeinem würdigen Edlen versprechen, der sie haben will.«
Konrad grinste. Judith erschrak. Wenn Männer aus allen Reichsteilen um ihre Hand anhalten konnten, wäre es nicht ausgeschlossen, dass sie in einen entfernt gelegenen Winkel verschleppt werden und genau dem Leben entgegensehen würde, das ihre Mutter führte und dem sie in den vergangenen Jahren so erfolgreich ausgewichen war. Sie sah sich als Herrin eines ähnlichen Hofes wie ihres Elternhauses. Grauenvoll. Damit verlor der Gedanke, auf den alten Kaiser einen günstigen Eindruck zu machen, mit einem Mal sehr viel von seinem Schrecken.
Im Eifelgau lag Anfang Dezember schon tiefer Schnee. Die Pferde kamen zwar nur langsam voran, doch Frau Stemma zeigte sich erleichtert.
»Auf gefrorenem Boden reitet es sich besser«, sagte sie zu Judith und berichtete von den verschlammten Wegen, die sie auf der Hinreise behindert hatten, von Flüssen, die über die Ufer getreten waren und ihnen Umwege aufgezwungen hatten und von Dauerregen, der ihnen die Sicht genommen und sie derart durchnässt habe, dass die Angst vor todbringender Erkältung zum ständigen Begleiter geworden war. Schnee und klirrende Kälte seien solchen Unbillen doch entschieden vorzuziehen. Judith hüllte sich tiefer in ihren Pelz ein und blickte auf die Männer, die schweigend vor sich hin ritten. An Bärten und Augenbrauen hatten sich Eisklümpchen gebildet.
Die Welfentochter versuchte ihre steifgefrorenen Zehen innerhalb der Fellstiefel zu bewegen, um das Blut anzuregen. Ihre Kopfhaut, die unter dem dicken Tuch und der Pelzkapuze unerträglich juckte, schien außerhalb der Reichweite ihrer klammen Finger zu sein. Ihr Rücken schmerzte, ihre Beine waren nahezu gefühllos, und der Körperteil, der dem Pferd am nächsten war, musste inzwischen gänzlich aufgerieben sein. Sich davon überzeugen konnte sie nicht, auch wenn sie Frau Stemmas Rat nicht folgte, sich keine Erleichterungspause zu gönnen, sondern es einfach fließen zu lassen, was sie kurzzeitig wärmen würde. Sie bestand darauf, zum Verrichten der Notdurft abzusteigen. Und konnte danach oft nur mithilfe anderer wieder aufsteigen. Das war sehr demütigend. Den bisher zweiwöchigen Ritt, der nur durch kurze Schlafspannen unterbrochen wurde – gelegentlich sogar ohne Dach über dem Kopf in den Reisepelz gehüllt –, empfand sie als die härteste Prüfung ihres Lebens.
»Warum hätte der Kaiser nicht bis zum Frühling warten können!«, murrte sie. »Normalerweise macht sich doch kein Mensch
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