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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weiteren Schwimmzügen schälte sich weit vor ihnen etwas aus der Finsternis, eine kolossale, farblose Wand aus verästelten Korallenstrukturen. Über ihnen fächerte die bizarre Schräge auseinander und endete an der Unterseite des Seesterns. Jolly begriff erst jetzt, dass sie und Munk sich längst unterhalb der riesigen Spitzen befanden. Als sie an der Korallenwand nach unten blickte, erkannte sie, dass das mächtige Gebilde in der Tiefe spitz zulief wie ein riesiger Eiszapfen.
    Dies war also die Unterstadt von Aelenium. Die tiefen Ebenen, von denen d’Artois gesprochen hatte.
    »Du willst dort rein?«, fragte sie, ohne Munk anzusehen.
    »Möchtest du nicht wissen, wofür du kämpfen sollst?«
    Sie konnte den Blick nicht von den fantastischen Formen abwenden, die jetzt immer deutlicher aus der Finsternis hervortraten. Munk hatte gesagt, die Unterstadt sei eine Art Spiegelbild des oberirdischen Aeleniums. Doch das entsprach nicht ganz der Wahrheit.
    Der untere Teil war sehr viel rauer und urwüchsiger. Jolly hatte angenommen, die Stadt an der Oberfläche sei gewachsen, nicht gebaut worden, doch nun erkannte sie, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen lag. Die Bewohner Aeleniums hatten den Korallenberg sehr wohl bearbeitet, um daraus Häuser und Gassen und Plätze zu formen. Dies hier dagegen war der rohe, unbehauene Zustand, in dem sich einstmals wohl auch die Oberseite Aeleniums befunden hatte, ein wucherndes, vielarmiges, gefährlich aussehendes Ding aus Spitzen, Zacken und messerscharfen Kanten. Die größte Koralle der Welt.
    D’Artois hatte von Haien gesprochen, die hier lebten. Von Muränen. Und von etwas anderem.
    Etwas habe sich womöglich dort unten eingenistet, hatte er gesagt. Etwas, das nur darauf wartete, loszuschlagen.
    Das Wasser wurde auf einen Schlag sehr viel kälter.

Unter Wasser

    Je näher sie den tiefen Ebenen kamen, desto besser lernte Jolly mit der Unterwasserwelt zurechtzukommen. Es war eine andere Art des Sehens. Die verwinkelten, aufgerauten Oberflächen der Korallen erschienen ihr in einem hellen Grau, manchmal sogar von einem Farbhauch wie an der Oberfläche durchzogen. Die Schatten dazwischen aber waren ungleich dunkler und von einer so tiefen Schwärze, dass jeder Spalt, jeder Riss und jede Vertiefung zum drohenden Schlund wurde. In jedem Loch konnte ein Untier lauern, hinter jedem Vorsprung ein Klabauter. So verlieh ihr die neue Sicht im Dunkel auf der einen Seite eine willkommene Sicherheit in diesen unbekannten Regionen der See. Andererseits aber verstärkte sie auch ihre Angst vor dem, was sie hier unten erwarten mochte.
    Sie fühlte sich von jedem einzelnen der verästelten Schattengebilde beobachtet, und sie fragte Munk, ob es ihm genauso ergehe.
    »Am Anfang ist es am schlimmsten«, antwortete er, »und ganz verschwindet die Angst wahrscheinlich nie.«
    »Und da willst du ausgerechnet in die tiefen Ebenen?«
    »Ich war schon hier, zusammen mit einigen Tauchern.«
    Munk schwebte durch eine unregelmäßige Öffnung in einer Korallenwand. »Denk dran, dich langsam zu bewegen. Wenn du in den Tunnels und Höhlen zu schnell wirst, klebst du sofort an irgendeiner Wand.«
    Oder auf einem Korallendorn. »Das macht Mut.«
    Munk blickte über die Schulter und lächelte aufmunternd. »Ich bin ja bei dir.«
    »Da fühle ich mich doch gleich viel sicherer.«
    Ich und mein loses Mundwerk, dachte sie.
    Sie folgte ihm - sehr vorsichtig, fast behutsam - in einen Tunnel im Inneren des Korallengebirges. Aus Gründen, die sie nicht kannte, schien ihre Sicht sich hier drinnen merklich zu verkürzen. Das Ende des unregelmäßigen Tunnels lag in völliger Finsternis. Risse und Spalten zweigten zu beiden Seiten ab, manchmal auch Öffnungen, die so groß waren wie Torbögen.
    Jolly verlor jedes Gefühl dafür, wie lange sie durch das Labyrinth der tiefen Ebenen streiften. Munk führte sie so sicher, als sei er schon oft hier unten gewesen. Meist schwebten sie zwischen Boden und Decke und bewegten sich mit Schwimmstößen vorwärts, aber manchmal senkten sie sich auch auf den Korallenboden hinab und gingen. Munk behielt Recht: Sie konnten sich auf festem Untergrund tatsächlich bewegen wie an der Oberfläche, sie konnten gehen und springen, sogar rennen. Der einzige Unterschied war, dass Jolly das Gefühl hatte, hier unten rascher außer Atem zu sein. Daran, dass sie statt Luft Salzwasser in ihre Lungen sog, durfte sie gar nicht erst denken.
    Und, ja, das Salz… So ganz waren sie dagegen doch nicht

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