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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Brustkorb.
    Stieg da etwas von unten zu ihnen herauf?
    »Ich will hier weg«, sagte sie.
    Er folgte ihrem Blick in die Tiefe. Sah er es auch? Fühlte er es näher kommen?
    »Gut«, sagte er und zog sie hinter sich in den waagerechten Schacht. »Wir können uns ja beeilen, wenn du willst.«
    Der Abgrund blieb zurück, doch im Augenblick war das keine große Beruhigung. Jolly schaute sich immer wieder um, zurück zu der Biegung und der Dunkelheit, die dort lauerte wie eine ölige schwarze Pfütze.
    Sie beschleunigten ihre Schwimmstöße und trieben jetzt mit beachtlicher Geschwindigkeit vorwärts. Es war unvorsichtig, gewiss, und wenn sie nicht aufpassten, würde aus ihrer Unruhe heillose Panik werden. Aber Jolly konnte nicht mehr anders, und sie sah Munk an, dass es ihm genauso ging.
    Ein Laut drang an ihre Ohren, ein Schaben und Splittern, so als schöbe sich etwas durch den Schacht hinter ihnen, das eigentlich zu breit dafür war und mit seinem Körper Korallenkämme und Auswüchse abbrach. Aber als sie sich abermals umschaute, war der Tunnel leer, und auch in dem fernen Knick zeigte sich nichts.
    Einbildung, redete sie sich ein. Du machst dich nur verrückt.
    »Hörst du das auch?«, fragte Munk.
    »Ja.«
    Sie erhöhten ihr Tempo, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Die Angst machte sie unvorsichtig, ständig stießen sie gegen Korallenarme und -kanten.
    »Da vorne ist ein Ausgang!«, rief Jolly.
    »Nicht mehr weit«, brachte Munk zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Etwa hundert Fuß vor ihnen endeten die Wände des Schachtes in einem grauen Oval. Was dahinter lag, war nicht zu erkennen - es war dunkel dort, und die Unterwassersicht der Quappen traf auf keinen Widerstand, an dem sich eine Entfernung festmachen ließ. Wenn sie Glück hatten, war es die offene See. Oder aber nur eine weitere Halle im Korallenlabyrinth der Unterstadt.
    Wieder blickte Jolly über ihre Schulter. Das Wasser hinter ihnen schien zu flirren wie die Luft über einem brennenden Schiff, aber noch immer sah sie nichts, worüber sie sich wirklich hätte Sorgen machen müssen. Falls irgendetwas ihnen aus der Tiefe gefolgt war, hatte es die Jagd womöglich aufgegeben.
    »Es ist ein Ausgang!«, rief Munk triumphierend.
    Sie rasten auf die ovale Öffnung zu, und jetzt erkannte Jolly, dass er Recht hatte. Wie zwei Kanonenkugeln schossen sie über die Kante hinweg und fanden sich inmitten des Ozeans wieder, unter sich eine ganz andere Art von Abgrund, bodenlos und dennoch nur halb so beängstigend wie der unheimliche Schacht.
    Aber konnte das, was sie verfolgt hatte, nicht ebenfalls einen Weg nach draußen gesucht haben?
    Sie stiegen der Oberfläche entgegen, pfeilschnell wie Hornissen im Angriffsflug, als Munk plötzlich sagte: »Sieh mal da drüben.«
    Innerlich gefror sie, als ihr Blick seinem ausgestreckten Arm folgte. Aber ihre Angst war unbegründet.
    Links neben ihnen zog sich die Ankerkette Aeleniums als schräger Strang quer durch ihr gesamtes Sichtfeld. Sie entsprang einem Gewirr aus Stahl und Korallen an der Unterseite einer Seesternspitze und verlief straff gespannt nach unten, wo sie sich nach einigen hundert Fuß im Düstergrau der See verlor. Die Kette selbst musste an die dreißig Fuß breit sein, jedes Glied war so groß wie ein Haus. Algen und andere Wasserpflanzen wehten zerzaust in unsichtbaren Strömungen. Das Metall der Kette war dort, wo es zwischen den Pflanzensträngen hindurchschaute, mit dunkelbraunem Rost überzogen.
    »Wie lang ist sie?«, wollte Jolly wissen.
    »Bis zum Meeresgrund sind es hier dreitausend Fuß.«
    »So viel?«
    »Der Schorfenschrund liegt fast zehnmal so tief.«
    Für Sekunden vergaß sie zu atmen. »Dreißigtausend Fuß?«
    Munk nickte, während sie dem Rand einer Sternspitze entgegenschwammen. »Sagt jedenfalls Urvater.«
    Jolly schwieg für den Rest ihres Aufstiegs. Sie versuchte, sich eine Tiefe von dreißigtausend Fuß vorzustellen. Das waren fast - Sechs Meilen !
    Man erwartete von ihnen, dass sie sechs Meilen zum Grund des Ozeans hinabtauchten, um dort die Quelle des Mahlstroms zu verschließen?
    Sie konnte sich die Tiefe, die Finsternis und die Einsamkeit nicht ausmalen, die dort herrschen mussten. Und doch streifte sie ein Hauch davon und ließ sie innerlich erschauern.
    An einer der Seesternspitzen stießen sie durch die Wasseroberfläche und kletterten ins Trockene. Mittlerweile herrschte tiefe Nacht in der Stadt. Die Korallenhänge Aeleniums waren mit hunderten von Lichtern

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