Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
gesprenkelt, und die Nebelwand war in völliger Schwärze versunken.
Sechs Meilen.
Durch Eiseskälte, durch Dunkelheit. Durch eine Landschaft, die mit nichts zu vergleichen war, was sie von der Oberfläche kannten.
Zum ersten Mal kamen Jolly bei dem Gedanken an ihre Zukunft die Tränen. Sie wollte nicht weinen, nicht vor Munk, vor überhaupt niemandem. Aber sie tat es dennoch, schluchzte leise vor sich hin und ließ nicht zu, dass er sie tröstete.
Pitschnass und wortlos trotteten sie hinauf in die Stadt, durch leere Gassen, über verlassene Plätze. An manchen Stellen war es so dunkel, als wäre Aelenium selbst bereits in der Tiefe versunken.
Jollys Tränen versiegten erst, als sie den Korallenpalast wieder vor sich sah. Irgendwo dort war Griffin. Sie musste mit jemandem über all das sprechen, mit einem Menschen, der selbst keine Quappe war. Jemand, der keine Verantwortung trug in diesem schrecklichen Krieg.
Jemand, der nicht Munk war.
Der Plan
In ihrem Zimmer angekommen zog Jolly die nassen Sachen aus, trocknete sich ab und schlüpfte in die Kleidung, die man für sie bereitgelegt hatte - wieder eine enge Lederhose, diesmal schwarz, dazu ein bequemes sandfarbenes Hemd mit breitem Gürtel und hoch geschnürte Sandalen. Außerdem fand sie eine silberbestickte Weste, die sie über das Hemd zog.
Immerhin war keiner auf die Idee gekommen, ihr Röcke oder ein Kleid hinzulegen. Niemand hier schien einfach nur ein Mädchen in ihr zu sehen.
Dabei wäre ihr das im Augenblick sogar recht gewesen: Sie hätte sich hilflos und naiv geben können, und kein Mensch hätte von ihr erwartet, es tatsächlich mit dem Mahlstrom aufzunehmen. Doch alle in Aelenium schienen ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass sie die Herausforderung annahm.
Munk hatte Recht, was die Rückenschmerzen anging, aber immerhin tat ihr der Kopf nicht weh. Allerdings drehten sich darin die Gedanken, Eindrücke und Bilder so schnell, dass alles zu einem flirrenden, sirrenden Durcheinander wurde. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Wusste weder ein noch aus.
Sie kam nicht mehr dazu, Griffin zu suchen, denn es klopfte an ihrer Tür, als sie sich gerade fertig angezogen hatte. Eine Dienerin stand draußen auf dem Gang und bat sie, ihr zur Versammlungshalle des Rates zu folgen.
»Um diese Zeit?«, fragte Jolly, erntete aber nur ein Schulterzucken und folgte der jungen Frau über Treppen und Brücken zu einem hohen Portal. Es musste auf Mitternacht zugehen, als sie dort ankamen und zwei Wächter mit ausdruckslosem Gesicht und Musketen auf dem Rücken sie einließen.
Hinter dem Tor, in einer weiten Halle mit gewölbter Korallendecke, wurde Jolly von ihren Gefährten erwartet -und von anderen Männern und Frauen, die sie nicht kannte. Die meisten saßen um einen lang gestreckten Tisch, einige standen in Gruppen beieinander und unterhielten sich.
Prinzessin Soledad lehnte an einer weißen Korallensäule, hatte ein Knie angewinkelt und war in ein Gespräch mit Walker vertieft. Der Pitbullmann stand gelangweilt daneben und verdrehte jedes Mal stumm die Augen, wenn der Captain etwas zu Soledad sagte. Als Buenaventure Jolly entdeckte, löste er sich mit einem erleichterten Seufzen von den beiden und eilte ihr mit stampfenden Schritten entgegen. Seine Stiefel hämmerten auf den Korallenboden, als wollte er mit den Absätzen Stücke des Untergrunds herausbrechen.
»Gott sei Dank, Jolly . das Getändel dieser beiden macht mich ganz wahnsinnig.«
Sie erwiderte sein Lächeln und bemerkte, dass er den Rucksack mit dem Hexhermetischen Holzwurm nicht bei sich trug. Offenbar war Aeleniums neuer Dichterfürst nicht zu der Versammlung geladen worden.
Stattdessen entdeckte sie Griffin, der im selben Moment aufsah. Er hatte gelangweilt an der Tafel gesessen und die Füße auf die Tischkante gelegt. Jetzt sprang er mit freudigem Grinsen auf und kam schnell auf sie zu.
Griffin und Buenaventure, dachte sie und spürte eine unverhoffte Wärme in sich aufsteigen. Wenn es zwei Menschen gab, denen sie vorbehaltlos ihr Leben anvertrauen würde, dann waren es diese beiden.
Womöglich auch Soledad, doch die Ziele der Prinzessin erschienen ihr immer noch ein wenig zu undurchsichtig: Soledad wollte den Piratenkaiser Kenndrick stürzen und das rechtmäßige Erbe ihres Vaters Scarab antreten. Aber welchen Preis war sie bereit, dafür zu zahlen? Würde sie jemals irgendetwas höher schätzen als den Thron der Karibikpiraten?
Dann war da Walker, selbst ein
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