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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sagte Urvater.
    Sie schlug die Augen auf, und, ja, da war sie: Eine glühende Perle schwebte zwischen den Muscheln, genau dort, wo sie die magischen Fäden in Gedanken verbunden hatte.
    »Jetzt versuche, sie zu kontrollieren.« Die Stimme des Greises war sanft und fordernd zugleich. »Du hast das Werkzeug ergriffen, jetzt nutze es.«
    Jolly ließ die schwebende Glutperle nicht aus den Augen. Sie hatte die Magie der Muscheln geweckt und die Perle geformt - der erste Schritt jedes Muschelzaubers.
    Nun musste sie die Magie auf ein bestimmtes Ziel ausrichten, ein Objekt, eine Handlung.
    »Was soll ich tun?« Sie schmeckte salzigen Schweiß auf ihren Lippen.
    »Entscheide selbst. Es steht in deiner Macht.«
    Ein Buch, flüsterte ihre innere Stimme. Such ein Buch aus, zieh es hervor, und ersetze es durch ein anderes, bevor der Stapel einstürzen kann.
    Ihre Geistfinger ertasteten einen schweren Folianten mit gebrochenem Lederrücken, gut zehn Schritt von ihr entfernt. Diesen, dachte sie. Dieser ist es.
    Die Perle glühte noch heller, blendete sie.
    Das Buch bewegte sich, der mannshohe Stapel erzitterte. Dann schob sich der Band langsam aus dem sorgfaltig gebauten Gefüge der Buchrücken. Mit einem raschelnden Laut rückte er immer weiter hervor.
    Noch ein anderes, dachte sie. Irgendeines.
    Sie ergriff ein zweites Buch, ganz oben vom Stapel, das ähnliche Maße hatte wie das erste. Langsam schwebte es herab, getragen nur von ihren Gedanken.
    Mach schon! Jetzt!
    Der Foliant glitt aus der Lücke, schlitterte über den Boden und öffnete sich wie von Geisterhand. Die Seiten flatterten wie in einem Sturmwind.
    Der Stapel schwankte.
    Das zweite Buch stieß in die entstandene Lücke.
    Ja!, durchfuhr es Jolly. Geschafft!
    Aber der Stapel bebte noch immer. Sie hatte das Buch zu heftig in die Öffnung gerammt, nun brachte es den kunstvoll errichteten Bücherturm zum Schwanken.
    Die Seiten des ersten Buches raschelten noch stärker, als wären sie durch Jollys Magie zum Leben erwacht.
    Die oberen Bücher des Stapels verrutschten, fielen vornüber.
    Jolly stieß einen Fluch aus.
    »Die Perle!«, rief Urvater. »Gib jetzt nicht auf!«
    Sie blickte zu der glühenden Perle, die noch immer zwischen den Muscheln schwebte. Jolly konzentrierte sich erneut, aber Zweifel hatten sich in ihren Gedanken breit gemacht. Sie schaffte es nicht. Zu spät.
    Der Bücherstapel kippte. Hunderte von Büchern gerieten ins Taumeln, dann ins Rutschen. Schließlich fielen sie.
    Und verharrten mitten in der Luft.
    Bin ich das?, fragte sich Jolly. Ihr Blick suchte Urvater, doch der schüttelte sanft den Kopf.
    Die Bücher schwebten in der Luft wie ein Wespenschwarm, der sich nicht zu einem Angriff entscheiden konnte. Sie zitterten kaum merklich. Dann glitten sie, eines nach dem anderen, zurück in ihre ursprüngliche Lage. Der Stapel baute sich wie von selbst wieder auf, ein Buch auf das andere, und wenige Augenblicke später stand der Bücherturm vollkommen unversehrt da.
    Die flatternden Seiten des ersten Buches kamen zum Stillstand, es blieb aufgeschlagen liegen.
    Jolly blickte über die Schulter und sah Munk in einiger Entfernung sitzen, vor sich ein Dutzend Muscheln im Kreis angeordnet. Ein kaum merkliches Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er war es, der den Bücherturm gehalten hatte. Seine Magie hatte wiederhergestellt, was sie verdorben hatte. Ihr Versagen war sein Triumph. Nicht zum ersten Mal.
    »Die Perle«, erinnerte Urvater sie abermals.
    Mit einem wütenden Schnauben wandte sie sich ihren drei Muscheln zu, packte die Glutperle mit ihren Gedankenfingern und schleuderte sie in einen der offenen Muschelmünder, viel heftiger, als nötig gewesen wäre. Die Muschel schien einen erbosten Laut auszustoßen, als sie zuschnappte und die magische Perle verschlang. Auch die beiden anderen schlossen sich.
    Urvater nickte bedächtig, doch nun schwiegen sogar seine Augen. Jolly ballte die Fäuste und atmete erschöpft durch.
    Es war der dritte Tag ihrer Ausbildung.
    Ihr zweiundzwanzigster Fehlschlag. Sie hatte mitgezählt.
    Am leichtesten fielen ihr jetzt der Kopfsprung ins Meer und die Fortbewegung unter Wasser. Sie hatte begonnen, die Stunden im Ozean zu genießen, nicht nur, weil sich ihre anfängliche Unsicherheit legte, sondern auch, weil sie eine willkommene Abwechslung zu den Unterrichtsstunden in Urvaters Bibliothekssaal waren. Gleich nach dem Aufstehen wurde von ihr erwartet, dass sie dort erschien, ihr Frühstück gemeinsam mit Munk und dem alten

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