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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mann einnahm und mit den täglichen Übungen begann. Ohne erwähnenswerte Unterbrechungen ging das so bis zum Abend - mit Ausnahme von ein oder zwei Stunden im Wasser. Meist holte d’Artois sie ab, manchmal auch einer der anderen Rochenreiter.
    Es zeichnete sich allmählich ab, dass Jolly unter Wasser die geschicktere der beiden Quappen war. Sie flog - denn für sie war es vielmehr fliegen als tauchen - rasante Schleifen und Spiralen, vollzog Wenden sehr viel rascher als Munk und lernte, sich innerhalb weniger Augenblicke eine halbe Meile abwärts sinken zu lassen, ohne dass ihr dabei schlecht oder schwindelig wurde.
    Munk ließ durch nichts erkennen, dass er ihr die Fortschritte missgönnte. Im Gegenteil, er ermutigte sie dazu, noch verrücktere Manöver zu wagen, und machte ihr immer wieder Hoffnung, dass es bald auch mit der Muschelmagie besser klappen würde.
    Ihren ersten echten Erfolg bei den magischen Übungen hatte sie am vierten Tag kurz nach dem Mittagessen. Es gelang ihr, mithilfe einer magischen Perle Urvaters Walrippenstab bis in die domhohe Kuppel des Bibliothekssaals aufsteigen zu lassen, wo er rasend schnell um sich selbst rotierte, dabei auf jedem Ende drei Bücher balancierte und keines davon verlor.
    Urvater spendete ihr euphorischen Beifall, und Munk grinste so stolz, als wäre ihm selbst dieses Kunststück gelungen. Allmählich fühlte sie sich ihm wieder näher. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass sie so viele Stunden miteinander verbrachten. Womöglich aber lag es auch daran, dass sie Griffin während dieser Tage kaum zu Gesicht bekam.
    Einmal, als sie sich am Abend kurz begegneten, berichtete er ihr, dass er von d’Artois einem der Stallmeister als Schüler zugewiesen worden war. Der Mann brachte Griffin bei, wie man die Seepferde beherrschte und auf ihnen ritt. Schon zwei Mal, so erzählte er Jolly begeistert, habe er mit einem Trupp von d’Artois’ Männern den Nebel durchquert und sei auf der anderen Seite über das offene Meer gejagt. Bereits ab dem dritten Tag durfte er regelmäßig mit auf Patrouille gehen, zumal er den Soldaten bewiesen hatte, dass er sich auf den Umgang mit Klinge und Pistole ebenso gut verstand wie sie.
    Seinen Plan, Aelenium zu verlassen, hatte Griffin vorerst aufgegeben. Jolly und er hatten kein Wort mehr darüber verloren. Sie spürte, dass er sich hier wohler fühlte, als er zugab. Und ihr ging es womöglich ähnlich. So waren sie beide auf ihre Art nicht unzufrieden mit dem Verlauf der Dinge, abgesehen von der wenigen Zeit, die sie zusammen verbringen konnten - was wiederum niemandem so recht war wie Munk.
    Jolly wusste all das. Sie sah das Missverständnis kommen, das sich allmählich zwischen ihr und Griffin aufbaute, das Missverständnis darüber, weshalb sie wirklich in Aelenium blieben. Und sie spürte auch Munks Erleichterung, dass sie und Griffin einander kaum noch sahen.
    Was geht hier vor?, dachte sie einmal, im denkbar ungünstigsten Augenblick, als sie gerade von einem Rochen zu einem Kopfsprung in die Tiefe ansetzte. Was geschieht mit uns?
    Aber sie verdrängte die Antworten auf solche Fragen. Je weiter sie die unangenehmen Wahrheiten von sich schob, desto perfekter wurde sie im Umgang mit der Muschelmagie.
    Am fünften Tag tauschte sie kraft ihrer Gedanken an drei unterschiedlichen Stellen der Bibliothek Bücher aus, alle im selben Atemzug, und sie ließ die schweren Lederbände durch den Korallendom flattern wie die Möwen, die sich um die Türme und Giebel Aeleniums scharten.
    Sie dachte nicht an den Schorfenschrund, nicht an das graue Lavagebirge am Meeresgrund. Sie dachte nicht an den Geisterhändler und nur selten an Griffin.
    Sie wurde eine gelehrige Quappe, und Urvater lobte sie, wo er nur konnte.
    Trotz allem aber blieb Munk der geschicktere Magier. Sie ließ drei Bücher fliegen, ihm gelang das Gleiche mit sechs. Sie ließ einen Sturmwind durch die Bücherschluchten fegen, er einen Blitz einschlagen, der einen ganzen Stapel Folianten in Asche verwandelte. Sie ließ die Geister der Carfax einen Reigen tanzen, er erschuf aus Rauch die Abbilder zähnefletschender Klabauter.
    Es war ein Wettstreit, gewiss, und nach außen hin wirkte er wie ein Kräftemessen unter Freunden. Tatsächlich aber schlich sich Neid ein in das, was sie taten - Neid auf Munks größere Kräfte, Neid auf Jollys Geschick unter Wasser, Neid auf jedes Lob Urvaters und Neid auf die anerkennenden Rufe, die aus den Fenstern Aeleniums erklangen, wenn sie durch die

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