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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gassen der Stadt wanderten.
    Am fünften Abend wollte sie Griffin in seinem Zimmer besuchen, aber er war nicht da, und man sagte ihr, er sei jetzt Mitglied der Rochengarde und auf einem nächtlichen Ausritt über den Ozean. Da spürte Jolly, dass sie sogar auf ihn neidisch war, auf seine Freiheit und die Arbeit mit den Seepferden. Sie hatte Tiere immer gemocht und hätte ihre Tage lieber in den Stallungen als in Urvaters staubigem Büchersaal verbracht.
    Am sechsten Tag aber, bei Sonnenuntergang, klopfte es an ihrer Tür. »Deine Tätowierung«, sagte Griffin, der dort draußen im Fackelschein stand. »Sie ist nicht fertig.«
    »Ich weiß«, sagte sie.
    »Wenn du willst . ich meine, ich kann das machen, wenn es dir recht ist.«
    Sie lächelte und streifte ihr Hemd über den Kopf, noch bevor er zur Tür herein war. »Ich dachte schon, du würdest niemals fragen.«
    Er hatte mitgebracht, was nötig war. Schwarze Tinte. Eine lange Nadel, nicht zu spitz. Ein Tuch. Sogar einen Eimer mit warmem Wasser, den er aus einer der Küchen heraufgeholt hatte.
    Jolly ging mit freiem Oberkörper hinüber zum Bett, das in der Nähe des Spitzbogenfensters stand. Sie schämte sich nicht vor Griffin, das alte Vertrauen zwischen ihnen war auf einen Schlag wieder hergestellt, so als hätte es nie in Zweifel gestanden. Sie schob Decke und Kissen beiseite, legte sich auf den Bauch und verschränkte die Hände unter ihrem Kinn. Von hier aus konnte sie hinaus in den rotgoldenen Himmel schauen und die Rochenreiter bei ihren Runden über der Stadt beobachten.
    Griffin setzte sich neben sie, stellte den Wassereimer ans Bett und befeuchtete das Tuch. Dann rieb er sanft über Jollys Rücken, folgte mit dem warmen Stoff dem Verlauf der halb fertigen Tätowierung und tupfte die Haut anschließend trocken.
    »Wenn man weiß, dass es eine Koralle werden soll, kann man es eigentlich schon ganz gut erkennen«, sagte er.
    »Trevino hat sie gemacht, der Koch der Mageren Maddy.« Sie zögerte kurz, dann fügte sie traurig hinzu: »Das war, kurz bevor die Maddy gesunken ist. Ich hab gesehen, wie Trevino von den Spinnen gebissen wurde und zusammenbrach.«
    »Hat er oft Tätowierungen für die Mannschaft gemacht?«
    »Manchmal. Er hat gesagt, jemanden zu tätowieren wäre so, als würde man ihm die Karten legen. Man muss ein Motiv finden, das demjenigen etwas bedeutet, etwas, das vielleicht einmal wichtig für ihn werden könnte.«
    »Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht.«
    Jolly blickte nachdenklich in die Abenddämmerung.
    »Die Koralle… Es ist mir erst vor ein paar Tagen eingefallen. Dabei ist es eigentlich ganz offensichtlich.«
    »Glaubst du, Trevino hat vorausgesehen, dass du hierher kommen würdest? In eine Stadt aus Korallen?«
    »Vielleicht ist es auch Zufall.«
    »Jedenfalls ein ziemlich seltsamer.« Griffin tauchte die Nadelspitze in die schwarze Tinte und machte den ersten Stich, um die Farbe unter ihre Haut zu bringen. »Tut das weh?«
    »Ich hab schon Schlimmeres überstanden.«
    Er lächelte. »Ich weiß.«
    Eine ganze Weile schwiegen sie, während er den unregelmäßigen Umriss, den Trevino auf ihrem Rücken angelegt hatte, mit Formen und Schattierungen füllte. Immer wieder tupfte er Farbe und Schweiß von ihrer Haut, hin und wieder gab er einen zustimmenden Laut von sich, als wäre er zufrieden mit seiner Arbeit.
    »Das wird ein paar Tage dauern«, sagte er.
    »Wenn uns das die Chance gibt, uns öfter zu sehen -dann lass dir Zeit.« Sie spürte seinen Blick auf ihrem Hinterkopf. Vielleicht hoffte er, sie würde sich zu ihm umdrehen, damit er sah, ob sie es ernst meinte. Doch sie schaute weiter hinaus in die Abendglut. Das feurige Licht tauchte die hellen Korallenwände des Zimmers in Gelb und Rot. Das Bettzeug leuchtete, als stünde es in Flammen.
    »Ich würde auch gerne auf Seepferden reiten«, sagte sie, als sich der Himmel über der Nebelwand allmählich dunkler färbte. »Das muss toll sein.«
    »Hast du die blauen Flecken noch?«
    Sie kicherte. »Die werde ich dir ganz bestimmt nicht zeigen!«
    »Jedenfalls sind meine jetzt doppelt so groß und fast schwarz«, sagte er lachend.
    »Interessante Vorstellung.« »D’Artois und seine Männer müssen an ihren Hintern Hornhaut so dick wie Schildkrötenpanzer haben.«
    Es gefiel ihr, dass er sie zum Lachen brachte. Sie hatte in den letzten Tagen viel zu wenig Spaß gehabt. Urvater war immer schrecklich ernst und, Gott, so weise. Und Munk verfolgte trotz aller Nähe zu ihr verbissen

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