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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Eine Menge von dem Zeug, das verloren geht, landet irgendwann hier bei mir. Jasconius hat mittlerweile ein gutes Gespür dafür entwickelt.«
    Griffin schüttelte den Kopf. Er konnte nichts von alldem fassen. »Und die Tür? Dieses Zimmer hier?«
    Er deutete quer durch den Raum. »Sind wir nun im Magen dieses Wals oder . oder irgendwo anders?«
    Ebenezers Blick folgte Griffins Geste durch den Raum. Die hölzerne Täfelung, das Kaminfeuer, sogar eine Hand voll Gemälde schienen dem Landhaus eines europäischen Adeligen nachempfunden zu sein. Wie ein Stück Magen jedenfalls sah es nicht aus.
    »Ehrlich gesagt, kann ich dir darauf keine rechte Antwort geben«, sagte Ebenezer und zuckte mit den Schultern.
    »Haben Sie versucht, hinter die Täfelung zu schauen?«
    Ebenezer nickte. »Stein.«
    »Eine Mauer?«
    »Ganz recht.«
    »Aber das ist völlig verrückt!«
    »Man gewöhnt sich daran.« Ebenezer winkte ab. »Am Anfang ist es sicher ein wenig seltsam, aber nach einer Weile… Du weißt doch: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und es hat seine Vorzüge. Ich bin nicht sicher, ob ich es lange in dem feuchten Loch da draußen ausgehalten hätte. Aber hier drinnen… Warum nicht?«
    Griffin stand auf, trat an eine der Wände und klopfte prüfend gegen die Täfelung. Dann ging er zur Tür zurück, öffnete sie und schaute hinaus: Dort lag nach wie vor der finstere Sumpf aus Wrackteilen und Knochen im Inneren des Riesentiers. Mit einem Schaudern schloss er die Tür und wandte sich der zweiten zu, die sich hinter dem Tresen befand.
    »Darf ich?«, fragte er.
    »Aber sicher.«
    Er fand sich in einem weiteren Zimmer wieder, genauso groß wie das erste. Hier hatte Ebenezer seine Küche eingerichtet. Es gab mehrere Tische und Hackklötze aus eingekerbtem Holz, dazu Regale und Schränke mit bunt zusammengewürfeltem Geschirr, das augenscheinlich aus Wracks stammte. Außerdem sah Griffin einen gusseisernen Ofen mit Kochplatte und eine riesige Feuerstelle mit Rauchfang, in der man einen Ochsen hätte braten können. Wohin der Rauch allerdings abzog, ließ sich nicht erkennen. Im Zweifelsfall würde Jasconius wohl einen üblen Husten bekommen.
    Kopfschüttelnd durchquerte Griffin den Raum in Richtung einer nächsten Tür. Er setzte jeden Schritt sehr zaghaft, als könnte eine unvorsichtige Berührung die Umgebung zerplatzen lassen wie eine Seifenblase.
    Hinter dieser Tür lag ein dritter, ebenso großer Raum, in dem ein eisernes Bett stand; in das Kopfende war ein Wappen eingelassen, das Griffin nicht kannte. Vermutlich hatte es früher einem Kapitän gehört oder in der Kajüte eines Adeligen gestanden. Ein geöffneter Schrank beherbergte nichts als ein Dutzend Mönchskutten aus unterschiedlichen Stoffen und in verschiedenen Farben. Zumindest was Schnittmuster anging, hatte Ebenezer in den vergangenen dreißig Jahren nichts dazugelernt. Überall am Boden verstreut, auf Stapeln und achtlosen Haufen lagen Bücher, manche halb zerfallen, andere wellig geworden von der Zeit im Wasser. Einige hatten keine Umschläge mehr, andere bestanden nur aus Bündeln loser Seiten, die Ebenezer offenbar sortiert und dann mit einer Schnur zusammengebunden hatte. Es gab einen hölzernen Globus mit einer Delle, ungefähr dort, wo sich Europa befinden musste; ein Schachspiel, das zu einer unvollendeten Partie aufgebaut war; mehrere Gemälde an den Wänden, die von ihrer Begegnung mit dem Salzwasser übel mitgenommen waren; eine Standuhr, die sogar noch tickte; vergilbte Lampenschirme; einen zerfransten Teppich mit orientalischen Mustern; ein ausgestopftes Krokodil mit einem Glasauge; außerdem ein Zeichenpult und zahlreiche gesprungene Vitrinen voller aufgespießter Schmetterlinge und Insekten.
    In diesem Zimmer gab es keine weitere Tür, daher machte Griffin sich auf den Rückweg zum vorderen der drei Räume. Ebenezer saß noch immer am Tisch und sah ihn erwartungsvoll an.
    »Und? Was denkst du?«
    »Ziemlich beeindruckend«, sagte Griffin.
    »Nicht wahr? Für einen Tiermagen ganz komfortabel.«
    »Aber wie . ich meine, wie haben Sie .«
    »Glück. Gottvertrauen. Fügung. Eines Tages lag zwischen all dem anderen Plunder diese Tür. Jasconius hatte sie mit den Überresten irgendeines Schiffs verschluckt. Ich habe nicht die geringste Ahnung, woher sie kommt oder wer sie zu welchem Zweck angefertigt hat. Ich bezweifle auch, dass ich dieses Geheimnis jemals lösen werde. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Geheimnisse sind wie die Glut

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