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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Es roch nach feuchtem Blattwerk und exotischer Blütenpracht.
    Sie hatten erst einen kurzen Fußmarsch hinter sich gebracht, als Walker, der voranging, lautlos nach oben zeigte.
    Vor ihnen ragte die Schräge eines Vulkanhangs auf. In der Bergflanke, genau auf Höhe der Kirchturmspitze, klaffte eine riesige Kerbe und bildete dort eine natürliche Plattform. Stimmen ertönten, zu weit entfernt, um sie verstehen zu können. Eine Traube von Fackeln beleuchtete die Rückwand und das überhängende Felsdach des Plateaus. Ohne Zweifel der Ort der geheimen Zusammenkunft.
    Vorsichtig folgten sie dem Pfad und stießen wenig später auf eine in den Fels gehauene Treppe. Erst kürzlich musste sie von Ranken und Buschwerk befreit worden sein. Rundum verstreut lagen abgeschlagene Äste. Jemand hatte eine einzelne Fackel in eine Felsnische gesteckt. Ihr Flammenschein leckte über den Wall aus Stein und Vegetation, der turmhoch vor ihnen emporwuchs.
    »Es hat keinen Zweck, weiter Versteck zu spielen«, sagte Soledad entschlossen. »So oder so werde ich mich zeigen müssen. Warum nicht gleich jetzt?«
    Walker schloss die Hand fester um den Griff seines Säbels. Soledad sah ihm an, dass ihm die Lage missfiel. Aber nicht die Angst vor Entdeckung bereitete ihm Unbehagen, sondern die Tatsache, dass nicht er der Anführer ihres Trupps war. Selbst der Geisterhändler blieb still und überließ Soledad die Führung. Dies hier war ihr Terrain.
    »Heda!«, rief sie, als sie die Treppe zur Hälfte erklommen hatten. »Wir kommen in friedlicher Absicht!«
    Aus dem Dunkel über ihnen lösten sich zwei Gestalten. Die eine trug einen Dreispitz und ein gestreiftes Hemd, in ihren Händen lagen zwei Pistolen mit gespannten Hähnen. Die andere hielt einen Säbel mit gezahnter Klinge; der Mann hatte sein langes Haar unter ein purpurnes Piratentuch gezwängt und trug einen Waffengurt schräg über dem nackten Oberkörper. Seine Muskeln glänzten im Licht zweier Fackeln neben dem oberen Treppenabsatz.
    »Wer da?«, rief der Pirat mit den Pistolen. »Gehörst du zu Tyrones Leuten? Wurde auch Zeit.«
    »Nein«, erwiderte sie. »Ich bin Soledad.« Die Prinzessin sprach mit klarer, lauter Stimme. »Scarabs Tochter. Überbringt den Kapitänen mein Ansinnen: Nach Geburt und Namen fordere ich Kenndrick vor dem Rat der Antillen-Kapitäne zum Duell.«
    Walker und der Geisterhändler wechselten einen alarmierten Blick. Der Captain legte Soledad von hinten eine Hand auf die Schulter. »Von einem Duell war nie die Rede!«, flüsterte er ihr aufgebracht zu.
    »Lass gefälligst diesen Unsinn!«
    Soledad drehte sich um und lächelte ihn kurz an.
    »Ich habe dir nie etwas verschwiegen, Walker«, sagte sie. »Es geht um Kenndricks Thron. Deswegen bin ich hier.«
    Von oben erklang eine rohe Stimme.
    »Und ich bin wegen dir hier, Soledad«, rief der Mann höhnisch, der jetzt in den Lichtkreis der Fackeln am oberen Treppenabsatz trat.
    Die Prinzessin wirbelte herum.
    Kenndrick, der Piratenkaiser, hatte seinen Säbel gezogen, doch die Spitze deutete zu Boden. Sein Lächeln war eisig, seine Augen verkniffen vor Hass. Der goldene Ring in seinem linken Ohr glühte im Feuerschein. Das rechte war ihm vor Jahren bei einem Gefecht abgeschossen worden, aber er verdeckte die Narbe eitel mit seiner wallenden Lockenpracht.
    »Soledad«, sagte er und spuckte vor ihr auf dem Boden aus. »Noch bevor die Sonne aufgeht, steckt dein Kopf auf meinem Bugspriet.«
    »Hört mich an!«, rief Soledad, während ihr Blick von einem Gesicht zum anderen wanderte. Im Moment war ihr die Aufmerksamkeit der zwölf Antillen-Kapitäne sicher. Fragte sich nur, wie lange das so blieb.
    »Die Piraten der Kleinen Antillen haben jahrzehntelang ihre Unabhängigkeit bewahrt, und ich weiß, dass der Streit zwischen Kenndrick und mir nicht der eure ist. Kenndrick ist nicht euer Anführer, so wie auch mein Vater es nicht war. Doch bevor ihr erwägt, euch mit ihm zu verbünden, solltet ihr wissen, dass Kenndricks Herrschaft über die Piraten von Tortuga und New Providence auf Lüge, Verrat und Betrug aufgebaut ist. Und auf feigem Meuchelmord.«
    Ihre Stimme hallte laut von den Felswänden wider. Die Tische, an denen sich das Dutzend Antillen-Kapitäne in einem Kreis versammelt hatte, standen im Zentrum der natürlichen Plattform, die eine Laune der Natur in den Fels des Vulkans geschlagen hatte. Von hier aus blickte man über das Blätterdach des Urwalds auf die nächtliche See. Im Mondlicht waren die Schiffe zu

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