Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
angekommen.«
»Sie kennen das Mare Tenebrosum?«
»Nicht aus eigener Erfahrung. Aber ich kenne die Geschichten. Ich weiß eine Menge über die Inseln und das Festland. Ich habe sogar an einem Buch darüber gearbeitet.«
»Über das Mare Tenebrosum?«
Ebenezer winkte ab. »Über die Küstenregionen der Karibik. Als junger Mönch war ich Angehöriger einer kleinen Missionsstation. Ich habe als Erster Daten und Fakten über die Tier- und Pflanzenwelt gesammelt. Ich war fast fertig mit meiner Arbeit, als ein Versorgungsschiff, mit dem ich eine der Inseln besucht hatte, in einen Sturm geriet und unterging.«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Weiß Gott, was aus meinen Manuskripten geworden ist. Aber das ist lange her, dreißig Jahre oder noch mehr.«
Griffin riss ungläubig die Augen auf. »So lange sind Sie schon hier?«
Ebenezer nickte. »Er hat mich damals verschluckt. Ich habe überlebt und… nun, und etwas entdeckt.«
»Nicht zufällig einen Weg, wie man hier wieder rauskomrnt, oder?«
»Oh, das! Gewiss kenne ich einen Weg, aber das habe ich nicht gemeint.«
»Sie wissen, wie man aus diesem Ding… ich meine, wie es einen wieder ausspuckt?«
Der dicke Mann lächelte. »Schon möglich. Aber erst probierst du meine Marinade.«
Griffin schaute sich in der unappetitlichen Umgebung um. Er hatte einen Mordshunger, bezweifelte aber, dass er hier irgendetwas herunterbekommen würde. Schon gar nichts, das nach Fisch roch. Oder gar so schmeckte.
»Komm mit.« Ebenezer setzte sich in Bewegung. Er raffte den Mantel hoch, in dem Griffin jetzt so etwas wie eine Mönchskutte erkannte, nur bunter. Vorsichtig stieg er über Trümmer und Gerippe. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Griffin wollte widersprechen, überlegte es sich dann aber anders und folgte dem seltsamen Kauz. Die Kerze beschien nur einen Umkreis von wenigen Schritten, meist blieben die Wände der Magenhöhle - falls es sich denn tatsächlich um eine solche handelte - im Dunkeln.
»Was tun Sie hier unten?«, fragte Griffin. »Außer kochen, meine ich.« Aber noch bevor Ebenezer ihm eine Antwort geben konnte, blieb Griffin wie angewurzelt stehen. Etwas war ihm in den Sinn gekommen. »Warten Sie… das sind Sie, oder?«
»Wen meinst du?«
»Der Mann im Wal!«
»Nun ja, ich bin ein Mann, und das hier ist wohl ein Wal.«
»Sie sind überall in der Karibik bekannt. Seit ich denken kann, kenne ich die Geschichten. Alle haben Angst vor Ihnen. Es heißt, Sie lassen den Wal Schiffe rammen, und dann frisst er die Seeleute, und… und…« Griffins Stimme überschlug sich, und er hob jetzt die Stange wieder schlagbereit vor den Oberkörper.
Doch Ebenezers Stimme klang keineswegs wütend. Ganz im Gegenteil. »So was erzählt man sich?«, fragte er traurig. »Über mich?« »Auf jedem Schiff.«
Der Mann war stehen geblieben und wandte sich im Kerzenschein zu Griffin um. »Das ist ja furchtbar.«
»Ist es denn wahr?«
»Natürlich nicht! Ich habe noch nie . also, wirklich, niemals .« Er verstummte, überlegte kurz, dann nickte er langsam. »Es gab da mal diesen Walfänger, vor etwa -Gott, so lange ist das her -, vor ungefähr zwanzig Jahren. Er wollte unseren Freund hier harpunieren, und . na ja, das konnte ich nicht zulassen. Aber er hätte das Schiff ohnehin gerammt, auch ohne mich. Wale sind sehr klug, musst du wissen, und dieser hier ist klüger als alle anderen. Auch wenn er von innen vielleicht nicht so aussieht.«
»Der Walfänger ist untergegangen?«
»Mit Mann und Maus.«
»Und das war das einzige Mal?«
»Aber ja doch.«
»Dann muss es Überlebende gegeben haben«, sagte Griffin. »Einer von ihnen hat Sie gesehen.«
Wieder nickte Ebenezer. »Ich hab draußen gestanden, im Maul, weil ich dachte, ich könnte diese Männer davon überzeugen, uns in Frieden zu lassen.«
»Irgendwer hat überlebt und anderen davon erzählt. So muss die Geschichte entstanden sein. Jeder hat noch etwas dazuerfunden, und so ist aus Ihnen der blutrünstige Mann im Wal geworden.«
»Blutrünstig! Du lieber Himmel!« Ebenezer legte entsetzt die Hände an die Schläfen. »Dabei will ich nichts anderes als… Aber warte ab, du wirst es gleich sehen.«
Griffin war nicht vollends überzeugt, dass er dem sonderbaren Fremden trauen konnte. Andererseits kannte Ebenezer einen Weg nach draußen. Und etwas essen musste Griffin auch, ganz gleich, wie schlimm es roch.
Der Mönch stieg einen Hügel aus allerlei Schutt und Unrat empor. Aus Brettern hatte er provisorische
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