Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
schleppte sich weiter, ohne innezuhalten. In sich spürte sie eine fremde, neue Kraft, so als hätte der Blick dieser Augen sie innerlich gereinigt und alle Reserven in ihr geweckt. Und tief im Herzen wusste sie, dass sie gerade keinem Tier begegnet war, keiner Monstrosität der endlosen See, sondern etwas vollkommen anderem.
    Im Gehen schloss sie für einen Moment die Augen. Ein feines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Etwas hatte sie berührt, weit mehr als nur die Zähne dieses Wesens.
    Wie überheblich war es doch gewesen, anzunehmen, dass alle Götter, die in Aelenium die Zeiten überdauert hatten, menschlich waren.
    Der Ausstieg befand sich mitten im Gewirr der Korallengassen und Plätze, nur einen Steinwurf unterhalb des zweiten Verteidigungswalls.
    Soledad war die letzten Stufen hinaufgestolpert und an ein hölzernes Tor gelangt. Sie hatte so lange dagegen gehämmert und gerufen, bis man schließlich auf der anderen Seite einen Riegel beiseite geschoben und vorsichtig geöffnet hatte.
    Zwei Männer in Uniform blickten ihr argwöhnisch entgegen, Büchsen und Lanzen auf sie gerichtet. Erst als einer sie erkannte und auch dem anderen klar wurde, dass die junge Frau in der Taucherkleidung kein Klabauter sein konnte, ließ man sie durch.
    Über die Schultern der Männer hinweg sah sie, dass sie in einem schmalen Raum gelandet war, der bis auf einige Fackeln nur spärlich erleuchtet war.
    An den Wänden waren ein paar Netze zum Trocknen gespannt. Der Keller eines ganz gewöhnlichen Hauses, vermutete Soledad, das den Eingang zur Unterstadt tarnen sollte.
    Ein Mann wollte ihr unter die Arme greifen, als Soledad zu stürzen drohte, doch sie stieß ihn ungehalten fort, straffte sich und trat stolz an den Wächtern vorüber. Auch das Angebot, ihre Wunde zu verbinden, lehnte sie mit einem stummen Kopfschütteln ab. Hinter ihr wurde das Tor zur Unterstadt wieder zugeworfen, der Riegel schabte schrill in seinen Verankerungen.
    In Soledads Erinnerung loderten noch immer die riesigen Bernsteinaugen, goldene, grundlose Teiche. Und mehr als alles, das Soledad an der Ankerkette gesehen hatte, verursachte dieser Blick ihr gleichermaßen Schrecken und atemloses Staunen. Eine solche Perfektion, solche kalte Berechnung. Und zugleich eine solche Überlegenheit.
    Wie betäubt ließ sie sich den Ausgang zeigen, stieg Stufen hinauf - noch mehr Stufen -, bis sie endlich im Freien stand.
    Im ersten Moment war ihr, als sei sie geradewegs in die Augen der Schlange getreten. Der Nachthimmel hatte sich golden gefärbt, geflutet vom Schein der zahllosen Feuer. Auf Wolkenschleiern und Nebelstreifen brach sich der Todesglanz der Flammen. Was dieser Anblick bedeutete, wusste sie. Dennoch konnte sie nicht gegen die Faszination des Feuerscheins ankämpfen. Vielfacher Tod, vielfache Zerstörung, und trotzdem war dieses Licht von maßloser Schönheit. Sie bezweifelte, dass irgendwer außer ihr das so sah.
    Soledad schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Ganz allmählich schien sie wie aus einem Traum zu erwachen. Die Bernsteinaugen verblassten, verschmolzen mit dem Höllenglanz des Himmels und der brennenden Stadt. Erst jetzt, mit jedem weiteren Schritt, wurde sie wieder sie selbst.
    Vor ihr öffnete sich die Gasse zu einem kleinen, menschenleeren Platz, der an einer breiten Balustrade endete. Von dort aus konnte sie über die tieferen Hänge blicken, über das Meer der Dächer, zwischen denen die Schatten brodelten wie kochendes Öl. Flüchtlingsströme wälzten sich durch die Gassen den Berg herauf.
    Der untere Wall war gefallen, so viel erkannte sie auf den ersten Blick. Die Kämpfer zogen sich zurück, waren bereits auf dem Weg zum zweiten Verteidigungsring oberhalb des Dichterviertels. Nicht mehr lange und die ersten würden ihn erreichen.
    Soledad hob den Blick zum Himmel über dem Wasser.
    Vor der Nebelwand, die beinahe selbst wie ein Wall aus Feuer aussah, kreisten vereinzelte Rochenreiter, wenn auch ein Großteil nun über dem Ufer schwebte und die Flut der Klabauter an Land unter Beschuss nahm.
    Auch jenseits des Nebels brannte die Nacht. Soledad war nicht sicher, ob das schon die ferne Morgenröte war, ein Abglanz der brennenden Stadt oder aber das Inferno der Seeschlacht zwischen den Antillenkapitänen und dem Kannibalenkönig Tyrone, die dort noch immer toben mochte.
    Ihr kam ein Gedanke, und nachdem er sich einmal in ihr festgesetzt hatte, wurde sie ihn nicht mehr los. Sie löste sich von der Balustrade, eilte zurück über

Weitere Kostenlose Bücher