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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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den Platz und bog in eine der angrenzenden Gassen.
    Bald darauf stand sie vor dem schmalen Haus, in dem der Hexhermetische Holzwurm träumte. Der Wächter vor der Tür war abgezogen worden, der Eingang geschlossen, aber nicht verriegelt. Soledad trat rasch ein und lief in Windeseile die Stufen hinauf bis unter das Dach des Hauses.
    Der Kokon war größer geworden, seit sie zuletzt hier gewesen war. Immer noch schienen sich neue Seidenschichten zu bilden, und auch die Fäden, die das bizarre Gebilde in der Schwebe hielten, waren zahlreicher geworden. Beinahe zwei Drittel des spitzgiebeligen Speicherraums waren jetzt davon ausgefüllt. Feinstes Garn spannte sich von Balken zu Balken, vom Boden zur Decke und als wehende Vorhänge im Inneren des Netzwerks.
    »Wurm?« Sie deutete ein Nicken an, glaubte aber nicht wirklich, dass er es sehen konnte. Falls er noch lebte, und davon ging sie aus, war sein Geist vermutlich anderswo, gefangen in einem Traum, der hoffentlich angenehmer war als die grausame Wirklichkeit der Schlacht.
    »Ich würde eine Menge dafür geben, zu wissen, was du gerade siehst«, sagte sie gedankenverloren. Der Kokon schien noch immer leicht zu pulsieren und sandte vage Schwingungen durch das Netz. Wieder und wieder lösten sich hauchfeine Fäden, verbanden sich mit anderen und bildeten neue Schichten innerhalb des Netzes. Ein kaum hörbares Knistern und Rascheln lag in der Luft.
    Vorsichtig streckte sie die Hand aus, um die vorderen Lagen zu berühren, schreckte aber eine Fingerbreit vor dem Netz zurück. Sie hatte Angst, etwas zu wecken, das womöglich noch nicht bereit war, zu ihnen zurückzukehren.
    »Ich weiß selbst nicht so recht, weshalb ich hergekommen bin«, sagte sie zum Wurm. »Aber ich habe da unten etwas gesehen, in der Unterstadt… etwas, das nicht von dieser Welt war. Jolly hat gesagt, manche Menschen, die hier in Aelenium wohnen, seien in Wahrheit uralte Götter - oder das, was von ihnen übrig geblieben ist, nachdem sie ihre Macht verloren haben. Aber das da unten . nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwann noch mächtiger war. Ich konnte es spüren, weißt du? Irgendetwas in diesen Augen hat mich berührt, und da war etwas… etwas wahrhaft Göttliches. Klingt verrückt, oder?«
    Sie suchte nach Worten, fand aber keine, die ausdrücken konnten, was ihr durch den Kopf ging. »Ich meine, es hat eigentlich nichts getan… jedenfalls nicht wirklich.« Sie sah mit schmerzerfülltem Blick auf ihren Unterarm und fuhr dann fort: »So wie’s aussieht, hat es mir das Leben gerettet. Und ich glaube, ich weiß, warum. Es will nicht, dass Aelenium dem Mahlstrom in die Hände fällt. Es hängt genauso an diesem Ort wie Urvater oder der Geisterhändler. Ich denke, sie alle brauchen Aelenium, vielleicht weil sie nur noch hier ungestört existieren können.«
    Kopfschüttelnd brach sie ab, überlegte eine Weile und sagte dann: »Jedenfalls frage ich mich, was du wirklich bist, Wurm. Das war kein Zufall, dass wir dich hergebracht haben, oder? Die Weisheit der Würmer, von der du gesprochen hast, das ist nichts als ein Haufen Seelöwenmist. Du bist in Wirklichkeit so wenig ein Wurm, wie diese Schlange da unten eine Schlange ist.« Sie machte einen entschlossenen Schritt auf das Netz zu und wusste selbst nicht recht, was sie damit ausdrücken wollte. »Richtig?«, fragte sie leise.
    Der Wurm - oder das, was in dem Kokon steckte - gab keine Antwort. Nicht, dass sie ernsthaft eine erwartet hatte.
    Sie schnaubte leise, dann schüttelte sie abermals den Kopf. Sie war schrecklich müde, und der Gedanke, jetzt noch weiterkämpfen zu müssen, schreckte sie zutiefst.
    »Schön, dass wir mal drüber gesprochen haben«, presste sie spöttisch hervor und trat an das einzige Fenster der Dachbodenkammer. Von hier aus konnte sie bis zum oberen Verteidigungswall sehen, auf dem es von Menschen nur so wimmelte. Sie atmete tief durch und lief zurück die Treppen hinunter, ließ das Netz und den Kokon und das, was darin war, hinter sich zurück.
    Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn Klabauter dieses Haus betraten. Wenn irgendetwas sie dazu brachte, bis hinauf zum Dachboden zu klettern.
    Was würden sie darin sehen?
    Und würden sie wagen, es zu wecken?
    Draußen in der Gasse regnete es tote Fische. Ein Trupp Gardisten kam ihr entgegen, auf dem Weg zum oberen Verteidigungswall. Sie schloss sich ihnen an, erreichte den Wall an einer Stelle, wo er sich quer über einen früheren Marktplatz zog, und hielt

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