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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vollkommene Dunkelheit - eine Schwärze, die wie Daumen auf Soledads Augen drückte. Sie hatte versucht, sich einen Weg zu suchen, hatte ihren letzten Sprudelstein eingesetzt und war - während die Luft immer stickiger wurde -endlich auf einen Schacht nach oben gestoßen. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war die Vorstellung von einem mächtigen Leib, der in den Schacht glitt und das Wasser rund um sie ausfüllte, immer länger, immer verschlungener. Und dann - ja, dann war da nichts mehr. Nur Schwärze. Eine tiefe, klaffende Lücke in ihrer Erinnerung.
    Trotz ihres schmerzenden Rückens versuchte sie, sich aufzurichten. Sie lag auf etwas, das sich anfühlte wie Treppenstufen - und in der Tat, ihre Vermutung erwies sich als richtig. Es war eine Treppe.
    Und noch etwas wurde ihr bewusst, merkwürdigerweise mit einiger Verspätung: Sie trug keinen Tauchhelm mehr. Sie konnte frei atmen, ohne Sprudelstein, der sie mit Luft versorgte. Der Grund war - natürlich, doch auch das realisierte sie seltsam zeitverzögert -, dass sie sich nicht mehr im Wasser befand.
    Ein fahler Schein lag über der Umgebung, vergleichbar mit Mondlicht, das durch eine dünne Wolkendecke fällt: weiß, fast blau waberte es über den Stufen. Sie gehörten offenbar zu einer langen Wendeltreppe, die an der Wand eines runden Schachts nach oben und unten führte. Soledads Beine lagen noch bis zu den Knien im Wasser. Unter der Oberfläche, die plätschernd gegen die Schachtwände schwappte, führten die Stufen weiter in die Tiefe.
    Der fahle Lichtschein ging von zahllosen Glutsteinen aus. Auf jeder Treppenstufe lag einer, im Winkel zwischen Boden und Wand, und dieses gewundene Band aus Lichtpunkten setzte sich auch unter ihr im Wasser fort.
    Dieser Schacht musste früheren Tauchexpeditionen der Garde als Zugang zur Unterstadt gedient haben. Wie aber war sie hierher gekommen?
    Mühsam zog Soledad ihre Beine ins Trockene und versuchte, den Oberkörper vollständig aufzurichten. Es gelang, wenn auch unter gehörigem Ziehen und Stechen ihrer Rückenmuskulatur. Der Schmerz aber rührte nur von ihrer unbequemen Lage auf den Stufen her, nicht von weiteren Verletzungen. Wie lange hatte sie so dagelegen? Sicherlich einige Stunden, denn die Wunden von der Schlacht an der Ankerkette hatten längst aufgehört zu bluten. Leder und Kruste klebten zäh aneinander.
    Aufstehen, sagte sie sich. Du musst aufstehen.
    Sie versuchte es - und scheiterte. Mit einem Stöhnen fiel sie zurück auf die Stufen. Ein erneuter Versuch. Diesmal klappte es. Wacklig, aber einigermaßen sicher stützte sie sich mit dem Arm an der Wand ab. Den rechten wollte sie tunlichst nicht bewegen; jedenfalls nicht, bis sie sicher war, wie schlimm er verletzt war.
    Eine Weile stand sie da, atemlos, so als hätte sie gerade eine unmenschliche Anstrengung vollbracht. Dabei hatte sie sich lediglich aufgerichtet. Warum kostete sie das so viel Kraft? Offenbar war sie weit angeschlagener, als sie auf den ersten Blick angenommen hatte.
    Argwöhnisch blickte sie zurück zur Wasseroberfläche. Der Schacht war nahezu kreisrund, was bedeutete, dass er künstlich angelegt, auf jeden Fall aber bearbeitet worden war. Sein Durchmesser mochte etwa zehn Schritt betragen. Wie weit sich die Wendeltreppe in der Tiefe fortsetzte, war nicht zu erkennen, denn schon nach einem kurzen Stück wurde der Schein der Glutsteine zu schwach, um durch das Wasser heraufzudringen.
    Soledad legte den Kopf in den Nacken - diesmal erstaunlich schmerzfrei - und blickte nach oben. Dort setzte sich die Treppe sieben oder acht Windungen weit fort, obwohl auch das keine verlässliche Beobachtung war; der Schein der Glutsteine war dort oben nur noch eine blasse Ahnung, und die Treppe selbst mochte durchaus noch höher führen.
    Soledad brachte ihre Atmung wieder unter Kontrolle. Immerhin, sie lebte. Und soweit sie erkennen konnte, gab es hier keine Klabauter weit und breit.
    Aber da blieb die Frage, wie sie hierher gekommen war. Irgendwer oder irgendetwas hatte ihren Taucheranzug zerstört und sie in Sicherheit gebracht. Falls sie das überhaupt war - in Sicherheit.
    Ihr wurde schwindelig, und für einen Augenblick verlor sie jeglichen Sinn für oben und unten. Erst ganz allmählich kehrte ihr Gleichgewichts sinn zurück, und sie begann den Aufstieg. Schleppend, unter Schmerzen im ganzen Körper, bewältigte sie Stufe um Stufe. Schon bald stellte sie fest, dass es ihr leichter fiel, je mehr sich ihr Körper an die Belastung

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