Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
den Quappen zu nehmen. Ein ganzer Tross von Menschen folgte ihnen auf ihrem Weg zu den Rochen, darunter Graf Aristoteles und die Mitglieder des Rates in ihren Prachtgewändern, Umhängen und Seidenschals.
Jolly mochte die meisten dieser Männer und Frauen nicht besonders; sie fand sie arrogant, verwöhnt und undankbar. Gewiss, alle würdigten, was Jolly und Munk bereit waren zu tun. Und doch machten die meisten keinen Hehl daraus, dass sie das Vorhaben als eine Pflicht der Quappen ansahen - so als sei es das unumstößliche Schicksal der zwei, sich für Aelenium zu opfern, ganz gleich, wie Jolly und Munk selbst darüber dachten.
Aber Jolly hatte längst aufgehört, sich darüber zu ärgern. Ihre Sorge galt anderen Dingen. Dem Mahlstrom. Und den Meistern des Mare Tenebrosum, jenen Mächten einer anderen, unfassbaren Welt, die diesen gigantischen Strudel erst geschaffen hatten. Ursprünglich hatte der Mahlstrom den Meistern als Tor in diese Welt dienen sollen. Doch er hatte sich seinen Schöpfern verschlossen und übte nun ohne sie seine Schreckensherrschaft aus.
Jolly trat zu Hauptmann D’Artois. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie der einäugige Geisterhändler in seinem dunklen Gewand Munk beiseite nahm und auf ihn einredete. Der blonde Junge nickte immer wieder.
Es lag nahe, dass die beiden diese Reise gemeinsam antraten. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Die ganze Zeit über hatte der Händler versucht, Munk ohne dessen Wissen auf diese Mission vorzubereiten.
»Alles klar?«, fragte Soledad.
Jolly drehte sich halb zur Piratenprinzessin um. Trotz des Altersunterschieds war Soledad ihr hier in Aelenium und auch schon früher eine echte Freundin geworden. »Nein«, erwiderte sie.
Die Prinzessin lächelte traurig. »Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich gehen.«
»Munk und ich schaffen das schon.«
»Sicher.«
Keine von beiden klang besonders überzeugend, aber es gab nichts anderes mehr zu sagen.
Walker löste sich von den Übrigen und berührte Jolly am Arm. Er schien sich in der Gegenwart der Flugtiere noch unwohler zu fühlen als sie.
»Mach’s gut«, sagte er schlicht, doch seine Miene war verbissen vor Sorge. »Viel Glück.«
»Brauchen wir nicht. Wir sind ja Quappen.«
Er starrte sie einen Moment lang entgeistert an, ehe der Spott zu ihm durchdrang. Dann lachte er, vergaß die Nähe des Rochens und beugte sich so weit vor, dass er Jolly ein letztes Mal umarmen konnte. »Sieh zu, dass du mir bald wieder auf die Nerven gehst, ja?«
Sie konnte nichts sagen, nickte bloß und winkte Buenaventure zu, der die ganze Zeit über mit erhobener Braue dastand.
Bei ihm wusste man nie, ob das ein Zeichen von Sorge oder Skepsis war oder ob es einfach nur zu seinem Hundegesicht gehörte. Er kratzte sich hinter dem linken Ohr - was ihn, obwohl er es mit einer menschlichen Hand tat, noch animalischer aussehen ließ -, dann legte er den Kopf schräg und sah tatsächlich aus, als wollte er jeden Moment ein gequältes Jaulen ausstoßen.
Jolly senkte ihren Blick. Sie würde jetzt nicht in Tränen ausbrechen, nicht hier und nicht vor den Mitgliedern des Rates. Der Hauptmann schien zu ahnen, was in ihr vorging. Eilig ergriff er die Zügel, zog sich in den Sattel und bedeutete Jolly und Soledad, hinter ihm aufzusteigen. Während der Geisterhändler und Munk auf dem anderen Rochen Platz nahmen, erwachte ihr Flugtier auch schon aus seiner Starre. Wellenförmig liefen die ersten Bewegungen durch die ausgebreiteten Schwingen des Tiers.
Einen Augenblick später trug es sie mit sanften, wogenden Flügelschlägen aufwärts. Jolly spürte den Herzschlag des Tiers unter sich, ganz ruhig und sanft, und mit jedem Schlag gewann sie ein Stück weit ihre Fassung zurück.
Sie atmete seufzend ein und warf einen Blick in die Tiefe. Gerade löste sich der zweite Rochen ebenfalls vom Boden und schwebte durch die Höhlendecke ins Freie.
Walker und Buenaventure standen dicht beieinander und blickten ihnen nach, mit Mienen, die ihre Angst und Hilflosigkeit verrieten. Die Ratsmitglieder winkten überschwänglich, aber Jolly beachtete sie gar nicht. Munk dagegen winkte zurück, gelassen, beinahe herrschaftlich, wie ein König, der Abschied von seinen Untertanen nimmt. Er hatte in den vergangenen Wochen viele solcher Züge angenommen. Ihm gefiel es, von den Edlen Aeleniums hofiert zu werden. Durchschaute er denn nicht, dass sie ihn ebenso schnell vergessen würden, wie sie ihn in ihren Reihen willkommen geheißen hatten? Falls
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