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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich gerade dafür zu kämpfen lohnte.
    »Kannst du etwas sehen?«
    Der Wal trieb mit offenem Maul auf den Wellen. Ebenezer stand zwischen zwei Zähnen, hielt sich mit einer Hand fest und beugte sich so weit vor, dass er am Gaumen des Tiers vorbei nach oben blicken konnte. Der Himmel war tiefblau wie ein ausgehöhlter Edelstein. Möwenschwärme kreisten über dem Wal; sie folgten ihm auf all seinen Wegen durch die Weltmeere. Kam er an die Oberfläche, pickten sie Algen und kleine Schalentiere von seinem Rücken.
    Griffin befand sich hoch oben auf dem Kopf des Wals. Es war ein mühsamer und beängstigender Weg gewesen, durch die tunnelartige Speiseröhre hinauf ins Maul. Von dort aus war er ins Wasser gesprungen, der Wal war abgetaucht und dann genau unter ihm wieder aufgestiegen. Dabei hatte er Griffin auf seinen Rücken gehoben.
    »Griffin!«, rief Ebenezer unten im Maul. »Nun sag schon, kannst du den Nebel sehen?«
    Griffin beschattete seine Augen mit beiden Händen, aber die Helligkeit blendete ihn noch immer. Angestrengt blickte er in alle Richtungen, auf der Suche nach der Nebelwand, hinter der sich Aelenium verbarg. Jasconius mochte für ein Seeungeheuer über beträchtliche Intelligenz verfügen, doch sein Orientierungssinn ließ mehr als zu wünschen übrig.
    Woher auch sollte ein Wal die Himmelsrichtungen kennen? Oder Längen- und Breitengrade?
    »Ich sehe nichts!«, brüllte Griffin zurück. »Es ist alles so hell!«
    »Warte noch einen Moment«, erwiderte Ebenezer und gab sich Mühe, das Krachen der Wellen an den mächtigen Zahnsäulen des offen stehenden Walmauls zu übertönen. Über ihm spannte sich der Gaumen des Ungetüms als schwarze Kuppel. »Du wirst dich schnell wieder daran gewöhnen.«
    Es war nicht leicht, auf der glatten Oberfläche des Wals genügend Halt zu finden. Griffin hatte seine Stiefel ausgezogen, um die Haut des Tiers nicht zu verletzen. Barfuß kauerte er auf dem höchsten Punkt des mächtigen Leibes, der sich wie ein gekenterter Bootsrumpf unter ihm erstreckte, so schwarz wie Teer und mit tausenden winziger Krabben und Muscheln überzogen.
    Erst jetzt konnte Griffin erkennen, wie gewaltig der Wal tatsächlich war. Er vermutete, dass der Körper mehr als das Doppelte eines Viermasters maß - die riesige Schwanzflosse nicht eingerechnet.
    Griffin blickte durch den wirbelnden Möwenschwarm zum Horizont. Je mehr sich seine Augen an das Tageslicht gewöhnten, desto blauer und leuchtender erschien ihm der Himmel; es war, als würde von irgendwo jenseits des Meeres Tinte in die Unendlichkeit gepumpt.
    Aber noch immer sah er nirgends den Nebel. Hätte Ebenezer ihm nicht vorher sagen können, dass Jasconius seine Routen willkürlich wählte? Der Mönch konnte den Wal in eine ungefähre Richtung lenken, und in der vergangenen Nacht hatte Griffin den Kurs anhand der Sterne überprüft - das war das erste Mal gewesen, dass Ebenezer ihn durch die Speiseröhre ins Maul des Wals geführt hatte. Danach waren sie wieder abgetaucht und hatten die Reise fortgesetzt.
    Um ganz sicherzugehen, hatte Griffin jedoch darauf bestanden, noch einmal bei Tageslicht Ausschau nach ihrem Ziel zu halten. Womöglich waren sie Aelenium näher, als sie dachten, und er wollte nicht das Risiko eingehen, die Seesternstadt zu verfehlen.
    Doch außer Möwen, gleißender Helligkeit und dem schwarzen Ungetüm unter sich konnte er nichts erkennen. Keinen Nebel, nirgends. Vielleicht war er immer noch zu nah an der Oberfläche. Nicht umsonst befand sich jeder Ausguck auf dem höchsten Mast eines Schiffes. Ja, wenn er hätte fliegen können wie die Möwen, dann vielleicht -Ein höllischer Lärm ließ ihn aufschrecken. Aus einer Öffnung in Jasconius’ Rücken, nur etwa zehn Schritt entfernt, schoss eine turmhohe Wassersäule empor, begleitet von einem Rauschen und Prasseln, das in den Ohren schmerzte. Sekunden später war Griffins Kleidung, die gerade erst in der Sonne getrocknet war, erneut triefend nass. Beinahe hätten ihn die Wassermassen vom Rücken des Wals gespült.
    Fluchend lag er auf dem Bauch und versuchte, sich festzuhalten, während die letzte Fontäne aus dem Inneren des Ungetüms auf ihn niederstürzte. Er schloss die Augen, um sie vor dem Salzwasser zu schützen, und presste die Wange ganz fest gegen die Haut des Wals.
    »Griffin?«, rief Ebenezer von unten. »Alles in Ordnung?«
    Stöhnend rappelte Griffin sich hoch. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass er das macht?«
    »Ich hab gedacht, du kennst dich aus

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