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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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übrigen Proportionen: zunächst im Verhältniß ihrer Dicke zur Höhe, innerhalb der Gränzen, welche die Verschiedenheit der drei Säulenordnungen zuläßt. Sodann beruht ihre Verjüngung, vom ersten Drittel ihrer Höhe an, wie auch eine geringe Anschwellung an eben dieser Stelle (entasis Vitr. ), darauf, daß der Druck der Last dort am stärksten ist: man glaubte bisher, daß diese Anschwellung nur der Ionischen und Korinthischen Säule eigen sei; allein neuere Messungen haben sie auch an der Dorischen, sogar in Pästum, nachgewiesen. Also Alles an der Säule, ihre durchweg bestimmte Form, das Verhältniß ihrer Höhe zur Dicke, Beider zu den Zwischenräumen der Säulen, und das der ganzen Reihe zum Gebälk und der darauf ruhenden Last, ist das genau berechnete Resultat aus dem Verhältniß der nothwendigen Stütze zur gegebenen Last. Weil diese gleichförmig vertheilt ist; so müssen es auch die Stützen seyn: deshalb sind Säulengruppen geschmacklos. Hingegen rückt, in den besten Dorischen Tempeln, die Ecksäule etwas näher an die nächste; weil das Zusammentreffen der Gebälke an der Ecke die Last vermehrt: hiedurch aber spricht sich deutlich das Princip der Architektur aus, daß die konstruktionellen Verhältnisse, d.h. die zwischen Stütze und Last, die wesentlichen sind, welchen die der Symmetrie, als untergeordnet, sogleich weichen müssen. Je nach der Schwere der ganzen Last überhaupt wird man die Dorische, oder die zwei leichteren Säulenordnungen wählen, da die erstere, nicht nur durch die größere Dicke, sondern auch durch die ihr wesentliche, nähere Stellung der Säulen, auf schwerere Lasten berechnet ist, zu welchem Zwecke auch die beinahe rohe Einfachheit ihres Kapitells paßt. Die Kapitelle überhaupt haben den Zweck, sichtbar zu machen, daß die Säulen das Gebälk tragen und nicht wie Zapfen hineingesteckt sind: zugleich vergrößern sie, mittelst ihres Abakus, die tragende Fläche. Weil nun also aus dem wohl verstandenen und konsequent durchgeführten Begriff der reichlich angemessenen Stütze zu einer gegebenen Last alle Gesetze der Säulenordnung, mithin auch die Form und Proportion der Säule, in allen ihren Theilen und Dimensionen, bis ins Einzelne herab, folgt, also insofern a priori bestimmt ist; so erhellt die Verkehrtheit des so oft wiederholten Gedankens, daß Baumstämme oder gar (was leider selbst Vitruvius, VI, I, vorträgt) die menschliche Gestalt das Vorbild der Säule gewesen sei. Dann wäre die Form derselben für die Architektur eine rein zufällige, von außen aufgenommene: eine solche aber könnte uns nicht, sobald wir sie in ihrem gehörigen Ebenmaaß erblicken, so harmonisch und befriedigend ansprechen; noch könnte andererseits jedes, selbst geringe Mißverhältniß derselben vom feinen und geübten Sinne sogleich unangenehm und störend, wie ein Mißton in der Musik, empfunden werden. Dies ist vielmehr nur dadurch möglich, daß, nach gegebenem Zweck und Mittel, alles Uebrige im Wesentlichen a priori bestimmt ist, wie in der Musik, nach gegebener Melodie und Grundton, im Wesentlichen die ganze Harmonie. Und wie die Musik, so ist auch die Architektur überhaupt keine nachahmende Kunst; – obwohl Beide oft fälschlich dafür gehalten worden sind.
    Das ästhetische Wohlgefallen beruht, wie im Text ausführlich dargethan, überall auf der Auffassung einer (Platonischen) Idee. Für die Architektur, allein als schöne Kunst betrachtet, sind die Ideen der untersten Naturstufen, also Schwere, Starrheit, Kohäsion das eigentliche Thema; nicht aber, wie man bisher annahm, bloß die regelmäßige Form, Proportion und Symmetrie, als welche ein rein Geometrisches, Eigenschaften des Raumes, nicht Ideen sind, und daher nicht das Thema einer schönen Kunst seyn können. Auch in der Architektur also sind sie nur sekundären Ursprungs und haben eine untergeordnete Bedeutung, welche ich sogleich hervorheben werde. Wären sie es allein, welche darzulegen die Architektur, als schöne Kunst, zur Aufgabe hätte; so müßte das Modell die gleiche Wirkung thun, wie das ausgeführte Werk. Dies aber ist ganz und gar nicht der Fall: vielmehr müssen die Werke der Architektur, um ästhetisch zu wirken, durchaus eine beträchtliche Größe haben; ja, sie können nie zu groß, aber leicht zu klein seyn. Sogar steht, ceteris paribus , die ästhetische Wirkung im geraden Verhältniß der Größe der Gebäude; weil nur große Massen die Wirksamkeit der Schwerkraft in hohem Grade augenfällig und

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