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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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eindringlich machen. Hiedurch bestätigt sich abermals meine Ansicht, daß das Streben und der Antagonismus jener Grundkräfte der Natur den eigentlichen ästhetischen Stoff der Baukunst ausmacht, welcher, seiner Natur nach, große Massen verlangt, um sichtbar, ja fühlbar zu werden. – Die Formen in der Architektur werden, wie oben an der Säule gezeigt worden, zunächst durch den unmittelbaren, konstruktionellen Zweck jedes Theiles bestimmt. Soweit nun aber derselbe irgend etwas unbestimmt läßt, tritt, da die Architektur ihr Daseyn zunächst in unserer räumlichen Anschauung hat, und demnach an unser Vermögen a priori zu dieser sich wendet, das Gesetz der vollkommensten Anschaulichkeit, mithin auch der leichtesten Faßlichkeit, ein. Diese aber entsteht allemal durch die größte Regelmäßigkeit der Formen und Rationalität ihrer Verhältnisse. Demgemäß wählt die schöne Architektur lauter regelmäßige Figuren, aus geraden Linien, oder gesetzmäßigen Kurven, imgleichen die aus solchen hervorgehenden Körper, wie Würfel, Parallelepipeden, Cylinder, Kugeln, Pyramiden und Kegel; als Oeffnungen aber bisweilen Cirkel, oder Ellipsen, in der Regel jedoch Quadrate und noch öfter Rektangel, letztere von durchaus rationalem und ganz leicht faßlichem Verhältniß ihrer Seiten (nicht etwan wie 6:7, sondern wie 1:2, 2:3), endlich auch Blenden oder Nischen, von regelmäßiger und faßlicher Proportion. Aus dem selben Grunde wird sie den Gebäuden selbst und ihren großen Abtheilungen gern ein rationales und leicht faßliches Verhältniß der Höhe zur Breite geben, z.B. die Höhe einer Fassade die Hälfte der Breite seyn lassen, und die Säulen so stellen, daß je 3 oder 4 derselben mit ihren Zwischenräumen eine Linie ausmessen, welche der Höhe gleich ist, also ein Quadrat bilden. Das selbe Princip der Anschaulichkeit und leichten Faßlichkeit verlangt auch leichte Uebersehbarkeit: diese führt die Symmetrie herbei, welche überdies nöthig ist, um das Werk als ein Ganzes abzustecken und dessen wesentliche Begränzung von der zufälligen zu unterscheiden, wie man denn z.B. bisweilen nur an ihrem Leitfaden erkennt, ob man drei neben einander stehende Gebäude oder nur eines vor sich hat. Nur mittelst der Symmetrie also kündigt sich das architektonische Werk sogleich als individuelle Einheit und als Entwickelung eines Hauptgedankens an.
    Wenn nun gleich, wie oben beiläufig gezeigt worden, die Baukunst keineswegs die Formen der Natur, wie Baumstämme, oder gar menschliche Gestalten, nachzuahmen hat; so soll sie doch im Geiste der Natur schaffen, namentlich indem sie das Gesetz natura nihil agit frustra, nihilque supervacaneum, et quod commodissimum in omnibus suis operationibus sequitur , auch zu dem ihrigen macht, demnach alles, selbst nur scheinbar, Zwecklose vermeidet und ihre jedesmalige Absicht, sei diese nun eine rein architektonische, d.i. konstruktionelle, oder aber eine die Zwecke der Nützlichkeit betreffende, stets auf dem kürzesten und natürlichsten Wege erreicht und so dieselbe, durch das Werk selbst, offen darlegt. Dadurch erlangt sie eine gewisse Grazie, der analog, welche bei lebenden Wesen in der Leichtigkeit und der Angemessenheit jeder Bewegung und Stellung zur Absicht derselben besteht. Demgemäß sehn wir, im guten antiken Baustil, jeglichen Theil, sei es nun Pfeiler, Säule, Bogen, Gebälk, oder Thüre, Fenster, Treppe, Balkon, seinen Zweck auf die geradeste und einfachste Weise erreichen, ihn dabei unverhohlen und naiv an den Tag legend; eben wie die organische Natur es in ihren Werken auch thut. Der geschmacklose Baustil hingegen sucht bei Allem unnütze Umwege und gefällt sich in Willkürlichkeiten, geräth dadurch auf zwecklos gebrochene, heraus und herein rückende Gebälke, gruppirte Säulen, zerstückelte Kornischen an Thürbögen und Giebeln, sinnlose Voluten, Schnörkel u. dergl.: er spielt, wie oben als Charakter der Pfuscherei angegeben, mit den Mitteln der Kunst, ohne die Zwecke derselben zu verstehn, wie Kinder mit dem Geräthe der Erwachsenen spielen. Dieser Art ist schon jede Unterbrechung einer geraden Linie, jede Aenderung im Schwunge einer Kurve, ohne augenfälligen Zweck. Jene naive Einfalt hingegen in der Darlegung und dem Erreichen des Zweckes, die dem Geiste entspricht, in welchem die Natur schafft und bildet, ist es eben auch, welche den antiken Thongefäßen eine solche Schönheit und Grazie der Form verleiht, daß wir stets von Neuern darüber erstaunen; weil sie so

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