Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
wie es mit diesem entstanden war. Es ist die Laterne, welche ausgelöscht wird, nachdem sie ihren Dienst geleistet hat. Der Intellekt, wie die in ihm allein vorhandene anschauliche Welt, ist bloße Erscheinung; aber die Endlichkeit Beider ficht nicht Das an, davon sie die Erscheinung sind. Der Intellekt ist Funktion des cerebralen Nervensystems; aber dieses, wie der übrige Leib, ist die Objektität des Willens . Daher beruht der Intellekt auf dem somatischen Leben des Organismus: dieser selbst aber beruht auf dem Willen. Der organische Leib kann also, in gewissem Sinne, angesehn werden als Mittelglied zwischen dem Willen und dem Intellekt; wiewohl er eigentlich nur der in der Anschauung des Intellekts sich räumlich darstellende Wille selbst ist. Tod und Geburt sind die stete Auffrischung des Bewußtseyns des an sich end- und anfangslosen Willens, der allein gleichsam die Substanz des Daseyns ist (jede solche Auffrischung aber bringt eine neue Möglichkeit der Verneinung des Willens zum Leben). Das Bewußtseyn ist das Leben des Subjekts des Erkennens, oder des Gehirns, und der Tod dessen Ende. Daher ist das Bewußtseyn endlich, stets neu, jedesmal von vorne anfangend. Der Wille allein beharrt; aber auch ihm allein ist am Beharren gelegen: denn er ist der Wille zum Leben. Dem erkennenden Subjekt für sich ist an nichts gelegen. Im Ich sind jedoch Beide verbunden. – In jedem animalischen Wesen hat der Wille einen Intellekt errungen, welcher das Licht ist, bei dem er hier seine Zwecke verfolgt. – Beiläufig gesagt, mag die Todesfurcht zum Theil auch darauf beruhen, daß der individuelle Wille so ungern sich von seinem, durch den Naturlauf ihm zugefallenen Intellekt trennt, von seinem Führer und Wächter, ohne den er sich hülflos und blind weiß.
Zu dieser Auseinandersetzung stimmt endlich auch noch jene tägliche moralische Erfahrung, die uns belehrt, daß der Wille allein real ist, hingegen die Objekte desselben, als durch die Erkenntniß bedingt, nur Erscheinungen, nur Schaum und Dunst sind, gleich dem Weine, welchen Mephistopheles in Auerbachs Keller kredenzt: nämlich nach jedem sinnlichen Genuß sagen auch wir: »Mir däuchte doch als tränk' ich Wein«.
Die Schrecken des Todes beruhen großentheils auf dem falschen Schein, daß jetzt das Ich verschwinde, und die Welt bleibe, Vielmehr aber ist das Gegentheil wahr: die Welt verschwindet; hingegen der innerste Kern des Ich, der Träger und Hervorbringer jenes Subjekts, in dessen Vorstellung allein die Welt ihr Daseyn hatte, beharrt. Mit dem Gehirn geht der Intellekt und mit diesem die objektive Welt, seine bloße Vorstellung, unter. Daß in andern Gehirnen, nach wie vor, eine ähnliche Welt lebt und schwebt, ist in Beziehung auf den untergehenden Intellekt gleichgültig. – Wenn daher nicht im Willen die eigentliche Realität läge und nicht das moralische Daseyn das sich über den Tod hinaus erstreckende wäre; so würde, da der Intellekt und mit ihm seine Welt erlischt, das Wesen der Dinge überhaupt nichts weiter seyn, als eine endlose Folge kurzer und trüber Träume, ohne Zusammenhang unter einander: denn das Beharren der erkenntnißlosen Natur besteht bloß in der Zeitvorstellung der erkennenden. Also ein, ohne Ziel und Zweck, meistens sehr trübe und schwere Träume träumender Weltgeist wäre dann Alles in Allem.
Wann nun ein Individuum Todesangst empfindet; so hat man eigentlich das seltsame, ja, zu belächelnde Schauspiel, daß der Herr der Welten, welcher Alles mit seinem Wesen erfüllt, und durch welchen allein Alles was ist, sein Daseyn hat, verzagt und unterzugehn befürchtet, zu versinken in den Abgrund des ewigen Nichts; – während, in Wahrheit, Alles von ihm voll ist und es keinen Ort giebt, wo er nicht wäre, kein Wesen, in welchem er nicht lebte; da das Daseyn nicht ihn trägt, sondern er das Daseyn. Dennoch ist er es, der im Todesangst leidenden Individuo verzagt, indem er der, durch das principium individuationis hervorgebrachten Täuschung unterliegt, daß seine Existenz auf die des jetzt sterbenden Wesens beschränkt sei: diese Täuschung gehört zu dem schweren Traum, in welchen er als Wille zum Leben verfallen ist. Aber man könnte zu dem Sterbenden sagen: »Du hörst auf, etwas zu seyn, welches du besser gethan hättest, nie zu werden.«
Solange keine Verneinung jenes Willens eingetreten, ist was der Tod von uns übrig läßt der Keim und Kern eines ganz andern Daseyns, in welchem ein neues Individuum sich wiederfindet, so
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