Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
frisch und ursprünglich, daß es über sich selbst verwundert brütet. Daher der schwärmerische und träumerische Hang edler Jünglinge, zur Zeit wo dieses frische Bewußtseyn sich eben ganz entfaltet hat. Was für das Individuum der Schlaf, das ist für den Willen als Ding an sich der Tod. Er würde es nicht aushaken, eine Unendlichkeit hindurch das selbe Treiben und Leiden, ohne wahren Gewinn, fortzusetzen, wenn ihm Erinnerung und Individualität bliebe. Er wirft sie ab, dies ist der Lethe, und tritt, durch diesen Todesschlaf erfrischt und mit einem andern Intellekt ausgestattet, als ein neues Wesen wieder auf: »Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag!« –
Als sich bejahender Wille zum Leben hat der Mensch die Wurzel seines Daseyns in der Gattung. Demnach ist sodann der Tod das Verlieren einer Individualität und Empfangen einer andern, folglich ein Verändern der Individualität unter der ausschließlichen Leitung seines eigenen Willens. Denn in diesem allein liegt die ewige Kraft, welche sein Daseyn mit seinem Ich hervorbringen konnte, jedoch, seiner Beschaffenheit wegen, es nicht darin zu erhalten vermag. Denn der Tod ist das démenti , welches das Wesen (essentia) eines Jeden in seinem Anspruch auf Daseyn (existentia) erhält, das Hervortreten eines Widerspruches, der in jedem individuellen Daseyn liegt:
denn Alles was entsteht,
Ist werth, daß es zu Grunde geht.
Jedoch steht der selben Kraft, also dem Willen, eine unendliche Zahl eben solcher Existenzen, mit ihrem Ich, zu Gebote, welche aber wieder eben so nichtig und vergänglich seyn werden. Da nun jedes Ich sein gesondertes Bewußtseyn hat; so ist, in Hinsicht auf ein solches, jene unendliche Zahl derselben von einem einzigen nicht verschieden. – Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint es mir nicht zufällig, daß aevum , aiôn , zugleich die einzelne Lebensdauer und die endlose Zeit bedeutet: es läßt sich nämlich von hier aus, wiewohl undeutlich, absehn, daß, an sich und im letzten Grunde, Beide das Selbe sind; wonach eigentlich kein Unterschied wäre, ob ich nur meine Lebensdauer hindurch, oder eine unendliche Zeit existirte.
Allerdings aber können wir die Vorstellung von allem Obigen nicht ganz ohne Zeitbegriffe durchführen: diese sollten jedoch, wo es sich vom Dinge an sich handelt, ausgeschlossen bleiben, Allein es gehört zu den unabänderlichen Gränzen unsers Intellekts, daß er diese erste und unmittelbarste Form aller seiner Vorstellungen nie ganz abstreifen kann, um nun ohne sie zu operiren. Daher gerathen wir hier freilich auf eine Art Metempsychose; wiewohl mit dem bedeutenden Unterschiede, daß solche nicht die ganze psychê , nämlich nicht das erkennende Wesen betrifft, sondern den Willen allein; wodurch so viele Ungereimtheiten wegfallen, welche die Metempsychosenlehre begleiten; sodann mit dem Bewußtseyn, daß die Form der Zeit hier nur als unvermeidliche Akkommodation zu der Beschränkung unsers Intellekts eintritt. Nehmen wir nun gar die, Kapitel 43 zu erörternde Thatsache zur Hülfe, daß der Charakter, d.i. der Wille, vom Vater erblich ist, der Intellekt hingegen von der Mutter; so tritt es gar wohl in den Zusammenhang unserer Ansicht, daß der Wille des Menschen, an sich individuell, im Tode sich von dem, bei der Zeugung von der Mutter erhaltenen Intellekt trennte und nun seiner jetzt modificirten Beschaffenheit gemäß, am Leitfaden des mit dieser harmonirenden durchweg nothwendigen Weltlaufs, durch eine neue Zeugung, einen neuen Intellekt empfienge, mit welchem er ein neues Wesen würde, welches keine Erinnerung eines frühern Daseyns hätte, da der Intellekt, welcher allein die Fähigkeit der Erinnerung hat, der sterbliche Theil, oder die Form ist, der Wille aber der ewige, die Substanz: demgemäß ist zur Bezeichnung dieser Lehre das Wort Palingenesie richtiger, als Metempsychose. Diese steten Wiedergeburten machten dann die Succession der Lebensträume eines an sich unzerstörbaren Willens aus, bis er, durch so viele und verschiedenartige, successive Erkenntniß, in stets neuer Form, belehrt und gebessert, sich selbst aufhöbe.
Mit dieser Ansicht stimmt auch die eigentliche, so zu sagen esoterische Lehre des Buddhaismus, wie wir sie durch die neuesten Forschungen kennen gelernt haben, überein, indem sie nicht Metempsychose, sondern eine eigenthümliche, auf moralischer Basis ruhende Palingenesie lehrt, welche sie mit großem Tiefsinn ausführt und darlegt; wie Dies zu ersehn ist aus der, in Spence Hardy's Manual
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