Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
durch die gewiß eben so illusorische Furcht vor dem Tode. Beides entspringt unmittelbar aus dem Willen, der an sich erkenntnißlos ist. Wäre, umgekehrt, der Mensch ein bloß erkennendes Wesen; so müßte der Tod ihm nicht nur gleichgültig, sondern sogar willkommen seyn. Jetzt lehrt die Betrachtung, zu der wir hier gelangt sind, daß was vom Tode getroffen wird, bloß das erkennende Bewußtseyn ist, hingegen der Wille , sofern er das Ding an sich ist, welches jeder individuellen Erscheinung zum Grunde liegt, von allem auf Zeitbestimmungen Beruhenden frei, also auch unvergänglich ist. Sein Streben nach Daseyn und Manifestation, woraus die Welt hervorgeht, wird stets erfüllt: denn diese begleitet ihn wie den Körper sein Schatten, indem sie bloß die Sichtbarkeit seines Wesens ist. Daß er in uns dennoch den Tod fürchtet, kommt daher, daß hier die Erkenntniß ihm sein Wesen bloß in der individuellen Erscheinung vorhält, woraus ihm die Täuschung entsteht, daß er mit dieser untergehe, etwan wie mein Bild im Spiegel, wenn man diesen zerschlägt, mit vernichtet zu werden scheint: Dieses also, als seinem ursprünglichen Wesen, welches blinder Drang nach Daseyn ist, zuwider, erfüllt ihn mit Abscheu. Hieraus nun folgt, daß Dasjenige in uns, was allein den Tod zu fürchten fähig ist und ihn auch allein fürchtet, der Wille , von ihm nicht getroffen wird; und daß hingegen was von ihm getroffen wird und wirklich untergeht, Das ist, was seiner Natur nach keiner Furcht, wie überhaupt keines Wollens oder Affektes, fähig, daher gegen Seyn und Nichtseyn gleichgültig ist, nämlich das bloße Subjekt der Erkenntniß, der Intellekt, dessen Daseyn in seiner Beziehung zur Welt der Vorstellung, d.h. der objektiven Welt besteht, deren Korrelat er ist und mit deren Daseyn das seinige im Grunde Eins ist. Wenn gleich also nicht das individuelle Bewußtseyn den Tod überlebt; so überlebt ihn doch Das, was allein sich gegen ihn sträubt: der Wille. Hieraus erklärt sich auch der Widerspruch, daß die Philosophen, vom Standpunkt der Erkenntniß aus, allezeit mit treffenden Gründen bewiesen haben, der Tod sei kein Uebel; die Todesfurcht jedoch dem Allen unzugänglich bleibt: weil sie eben nicht in der Erkenntniß, sondern allein im Willen wurzelt. Eben daher, daß nur der Wille, nicht aber der Intellekt das Unzerstörbare ist, kommt es auch, daß alle Religionen und Philosophien allein den Tugenden des Willens, oder Herzens, einen Lohn in der Ewigkeit zuerkennen, nicht denen des Intellekts, oder Kopfes.
Zur Erläuterung dieser Betrachtung diene noch Folgendes. Der Wille, welcher unser Wesen an sich ausmacht, ist einfacher Natur: er will bloß und erkennt nicht. Das Subjekt des Erkennens hingegen ist eine sekundäre, aus der Objektivation des Willens hervorgehende Erscheinung: es ist der Einheitspunkt der Sensibilität des Nervensystems, gleichsam der Fokus, in welchem die Strahlen der Thätigkeit aller Theile des Gehirns zusammenlaufen. Mit diesem muß es daher untergehn. Im Selbstbewußtseyn steht es, als das allein Erkennende, dem Willen als sein Zuschauer gegenüber und erkennt, obgleich aus ihm entsprossen, ihn doch als ein von sich Verschiedenes, ein Fremdes, deshalb auch nur empirisch, in der Zeit, stückweise, in seinen successiven Erregungen und Akten, erfährt auch seine Entschließungen erst a posteriori und oft sehr mittelbar. Hieraus erklärt sich, daß unser eigenes Wesen uns, d.h. eben unserm Intellekt, ein Räthsel ist, und daß das Individuum sich als neu entstanden und vergänglich erblickt; obschon sein Wesen an sich ein zeitloses, also ewiges ist. Wie nun der Wille nicht erkennt , so ist umgekehrt der Intellekt, oder das Subjekt der Erkenntniß, einzig und allein erkennend , ohne irgend zu wollen. Dies ist selbst physisch daran nachweisbar, daß, wie schon im zweiten Buch erwähnt, nach Bichat , die verschiedenen Affekte alle Theile des Organismus unmittelbar erschüttern und ihre Funktionen stören, mit Ausnahme des Gehirns, als welches höchstens mittelbar, d.h. in Folge eben jener Störungen, davon afficirt werden kann (De la vie et de la mort, art. 6, § 2). Daraus aber folgt, daß das Subjekt des Erkennens, für sich und als solches, an nichts Antheil oder Interesse nehmen kann, sondern ihm das Seyn oder Nichtseyn jedes Dinges, ja sogar seiner selbst, gleichgültig ist. Warum nun sollte dieses antheilslose Wesen unsterblich seyn? Es endet mit der zeitlichen Erscheinung des Willens, d.i. dem Individuo,
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