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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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christlich-maronitische Politiker Bashir Gemayel ermordet wurde. Ich war zutiefst bewegt, als diese Gemeinde, die mir sehr vertraut ist, den Sarg hoch auf den Schultern trug, zum Klang des freudigen libanesischen Dapke-Tanzes. Sie haben dabei geweint – aber sie haben getanzt.
    Ein rauschhaftes Leben?
    Interview, 15. 03. 2009 2
    Herr Scholl-Latour, was nehmen Sie auf jeden Fall immer mit?
    Eine Reihe von Medikamenten gegen Durchfall.
    Schade eigentlich, daß Sie nie in der Fremdenlegion waren. Dieser Mythos ist zu schön, um nicht wahr zu sein.
    Nein, ich war nie Fremdenlegionär. Ich kannte sie, das war eine gute Truppe. Aber ich besitze die doppelte Staatsangehörigkeit, deshalb durfte ich in einer französischen Elitetruppe dienen, als ich mich 1945 für den Indochinakrieg meldete.
    Abgesehen davon: In jungen Jahren wirkte der Ruf eines ehemaligen Legionärs auf die Damen immer ganz faszinierend.
    Sie zogen mit 21, gerade dem Horror des Zweiten Weltkriegs entkommen, in den Indochinakrieg. Andere fahren in diesem Alter ans Mittelmeer.
    Ach, wissen Sie, Europa war damals nicht so attraktiv. Ich wollte diese Traurigkeit hinter mir lassen und suchte ein Abenteuer. Es waren die Jahre des Existentialismus, das große Erleben. Als ich in Hanoi landete, herrschte da noch pure Exotik. Es gab keine Klimaanlagen, keine Kühlschränke, nicht mal Hubschrauber. Das war ein kolonialer Traum, wie in einem Roman von Kipling. Indochina bleibt die schönste Erinnerung meines Lebens. Vor ein paar Jahren war ich wieder da und besuchte den General Giap. Im Krieg war er als Oberbefehlshaber der vietnamesischen Guerilla mein Feind. Er trat in seiner Uniform an, ich stand stramm. Das gefiel ihm. Nach ein paar Sätzen klopfte er mir auf die Schulter. Es war ein beinahe freundschaftliches Gespräch.
    Haben Sie eine Schwäche für die Romantik des Partisanentums?
    Ja, das hat mich geprägt. Was man heute den »asymmetrischen Krieg« nennt, das brachten uns damals in Indochina die Vietnamesen bei. Und auch wir Kolonialsoldaten nutzten diese Taktik, wir sind in Gruppen von zwölf Mann durch die Reisfelder gezogen.
    Wären Sie selbst gern Partisan geworden? In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wollten Sie sich immerhin Titos Untergr undarmee anschließen.
    Mir blieb damals nichts anderes übrig. Im Westen konnte ich nicht zu den Alliierten durchkommen, also probierte ich es im Südosten. Die Gestapo verhaftete mich in Graz, es war eine dilettantische Flucht. Heute nennt mich meine Frau aus Jux manchmal »Opi Partisan«, wenn ich wieder nach Afghanistan aufbreche oder in den Irak.
    Wie viele Tote haben Sie in Ihrem Leben gesehen?
    Ich habe sie nicht gezählt. Und darüber rede ich auch nicht.
    Sie waren 1973 eine Woche in Gefangenschaft beim Vietcong.
    Der Vietcong ging sehr anständig mit uns um, obwohl die uns zunächst für CIA-Agenten hielten. Unsere Leute hatten Malaria, und deshalb gab man uns ein paar Tabletten. Die waren natürlich wirkungslos, aber es war eine nette Geste. Man hat uns auch gesagt: »Laufen Sie nicht raus, da liegen Minen, da gehen Sie hoch!« Als sie begriffen, daß wir wirklich Journalisten waren, wurden wir als Gäste behandelt. Da entspann sich eine regelrechte Komplizenschaft.
    Spätestens seit Ernst Jünger gibt es den Mythos, daß an den Brennpunkten dieser Erde das rauschhafte Leben gedeiht. Stimmt das?
    In Vietnam habe ich von Zeit zu Zeit Opium geraucht, das erste Mal bei den Thai-Partisanen im Hochland an der Grenze zu China. Dort oben gab es keine Europäer, das war noch eine Schamanenkultur. Opium wirkt sehr angenehm, gleichzeitig bekam ich eine Massage. Aber ich hatte kein tolles Erlebnis dabei, keinen Rausch, keine erotischen Visionen. Auf einem Hausboot in Kaschmir habe ich mal Haschisch genommen. Da ich Nichtraucher bin, habe ich den dicken grünen Klumpen einfach im Tee aufgelöst. Ich hatte einen richtigen Horrortrip. Wenn ich nach der Gabel langte, griff ich völlig daneben. Vor allem hatte ich das unangenehme Gefühl, den Verstand zu verlieren und ihn eventuell nicht wiederzufinden. Es brauchte Tage, bis ich aus dieser Hölle wieder ganz herauskam. Ich würde es nicht wieder tun.
    In jungen Jahren nannte man Sie »Scholl-L’Amour«.
    Das Verhältnis zu Indochina war für jeden vernünftigen Menschen ein erotisches. Ich habe Vietnam auch nie als eine Hölle empfunden. Erst die

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