Die Welt aus den Fugen
darin, nachts ich. Es gab nur Steine, um sich den Hintern abzuputzen. In Indochina hatten wir wenigstens englisches Klopapier. Das war grün, damit man es im Dschungel nicht sah.
Wohin geht es als nächstes?
Lateinamerika, im Frühjahr. Zuerst Brasilien. Diese Mischgesellschaft ist die Zukunft: Wir werden eine totale Vermischung der Rassen erleben. Dann will ich noch nach Kuba und nach Venezuela, vielleicht Herrn Chávez treffen. Und nach Bolivien zu Herrn Morales. Das ist der lateinamerikanische Obama, ein reiner Indianer. Mindestens so revolutionär wie die Präsidentschaft eines Mulatten.
Reporter ohne Grenzen
Reportage, 19. 06. 2011 3
Peter Scholl-Latour schaut skeptisch auf die bunte Weltkarte herab. »Ein biÃchen klein, nich?« Dabei bedeckt sie den gesamten Frühstückstisch im »Casa Italiana«, einem italienischen Restaurant in Charlottenburg.
Die Länder, die hier abgebildet sind, hat Scholl-Latour alle besucht, die meisten mehrmals. Als letztes Land kam 2008 Osttimor hinzu.
Deshalb habe ich die Weltkarte mitgebracht, als Orientierungshilfe für den Spaziergang mit dem 87 Jahre alten Mann. Meine Kaffeetasse bedeckt RuÃland nur halb, seine steht auf Australien, der Kaffeelöffel wirft einen Schatten auf Neuseeland. Sein Frühstück (Spiegelei mit Speck) steht mitten im Atlantischen Ozean, genau zwischen Montevideo und dem Kap der Guten Hoffnung. Wenn er später von einer Reise erzählt, legt er das Besteck zur Seite und fährt mit dem rechten Zeigefinger über die Regionen. Er hat Wohnungen in Berlin, Paris, Nizza, aber auf dieser Karte ist er eigentlich zu Hause.
Peter Scholl-Latour hat vor dem Treffen angekündigt, daà er nur noch wenig spazierengeht. Zum Zeitungsladen, zum Lieblingsitaliener, zu einer Hotelbar um die Ecke, für einen Whiskey im Sommer. Doch dazu ist es zu früh. Vor 17 Uhr trinkt er nie Alkohol. Er hat Regeln in seinem Leben: Er iÃt nur morgens und abends etwas, er betet jeden Tag auf Latein und absolviert täglich 25 Kniebeugen, zwanzig Liegestütze, zehn Sit-ups. Den Rest seiner Zeit erklärt er in Talkshows die Konflikte dieser Welt, plant seine nächste Reise, die nach Libyen gehen soll, wo Qadhafi gerade Krieg gegen sein eigenes Volk führt. Er will dort für sein 31. Buch recherchieren.
Fast alle seine Bücher waren Bestseller, »Der Tod im Reisfeld« von 1979 verkaufte sich 1,2 Millionen Mal, ist derzeit vergriffen. Bei den Recherchen ist er dem Tod oft begegnet. Als Soldat im Krieg in Indochina, als Journalist danach im Kongo, Kosovo und in Kaschmir. In seinen Büchern erzählt er immer aus der Position des staunenden Reisenden, flicht Anekdoten ein, verbindet mit wenigen Worten die Kontinente, so, als hänge ganz selbstverständlich alles mit allem zusammen.
Mein Türklingeln am Morgen an seiner Charlottenburger Wohnung ist also eigentlich eine Störung bei dieser Arbeit der Weltverknüpfung, aber er lächelt trotzdem sein grimmiges Lächeln, als er die Tür öffnet. Er trägt ein blaues Hemd und ein Halstuch, passend für eine Wüstenexpedition und einen Dinnerabend. Hinter ihm steht seine Frau Eva, ungefähr halb so alt wie er, und sagt: »Eigentlich ist es gerade der falsche Zeitpunkt.« Sie seien eben aus München zurück und wollen bald nach Nizza aufbrechen. Sie trägt eine Stoffhose mit grünem Militärtarnmuster, passend für ein Dschungelversteck â und die Wohnung eines Kriegsreporters. Er: »Wo ist mein Telefon?« Sie: »Warte, ich ruf dich an.« Es klingelt im ObergeschoÃ. Seufzend läuft er die Treppen hinauf.
Eva Scholl-Latour erzählt so lange etwas über die Kunst. Gleich neben der Tür hängt zum Beispiel das Gemälde einer verhüllten Frau in einem roten Raum, neben ihr eine kleine schwarze Katze. »Das ist aus Aserbaidschan«, sagt sie. »Mir gefällt die Katze.« Das Tier sei so klein und dominiere trotzdem das Bild. Als er zurückkommt, erinnert sie ihn: »Ich bin wahrscheinlich nicht da, wenn du zurückkommst.« â »Ja, ist gut.«
Die beiden sind seit 26 Jahren ein eingespieltes Team, auf Reisen, auf Empfängen und am liebsten allein abends zu Hause mit einem Glas WeiÃwein (sie) und Rotwein (er). Statt eines Eherings trägt er rechts einen silbernen Armreif, den sie ihm geschenkt hat, eine Schlange der chinesischen Miao, ein Volk, das in
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