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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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den Bildern des Elends, die uns zum Handeln treiben können?
    Gerade bei der Bildberichterstattung gibt es gezielte Irreführungen. Die Ereignisse in Darfur sind schrecklich, aber wenn ganze Annoncenseiten in Zeitungen finanziert werden, um eine Sache hochzuputschen, bin ich mißtrauisch. In den meisten Fällen stecken auch die Interessen des sogenannten Raubtierkapitalismus hinter solchen Kampagnen. Im Sudan, den ich gut kenne, geht es um Erdöl. Was in Darfur passiert, ist so alt wie Kain und Abel. Dort handelt es sich um den ewigen Kampf der Nomaden, der Hirtenvölker, gegen die Ackerbauern. Aber diesmal hat nicht Kain den Abel ermordet, sondern Abel ist dabei, den Kain umzubringen.
    Kain und Abel – das klingt nach ewigem, mythischem Verhängnis. Heißt das: Es hat keinen Sinn, etwas dagegen zu tun?
    Meist sind wir dazu gar nicht in der Lage. Nehmen wir ein Beispiel: Wer könnte den Bundestag dazu bewegen, Kampftruppen nach Darfur zu entsenden? Eine punktuelle Intervention würde ja nicht ausreichen, die Soldaten müßten dauerhafte Präsenz zeigen. Das sind die Gesetze der »counter-insurgency«, der Aufstandsbekämpfung.
    Manchmal hört man die These, es wäre besser, diese Konflikte – mit einem schrecklichen Wort gesagt – »ausbluten« zu lassen .
    Das passiert leider häufig genug. Der libanesische Bürgerkrieg hat fünfzehn Jahre gedauert, und er ist zu Ende gegangen, weil am Ende ein totaler Erschöpfungszustand erreicht war. Die militärische Schlichtungsoperation von Amerikanern und Franzosen im Jahr 1982 ist kläglich und extrem blutig gescheitert.
    Wenn Politik an humanitäre Gefühle appelliert, vermuten Sie Unkenntnis oder Heuchelei.
    Was mich stört, ist die selektive Auswahl der Entrüstung. Nehmen Sie zum Beispiel Tibet: Die Tibeter werden von den Chinesen demographisch in die Minderheit gedrängt. In Lhasa stellen sie nur noch vierzig Prozent der Bevölkerung. Sie werden drangsaliert, aber es findet keine flagrante Form militärischer Unterdrückung statt wie zum Beispiel in Kaschmir. Dort geht die indische Armee mit Brutalität gegen die überwiegend muslimische Bevölkerung vor. Aber Indien ist wohl eine heilige Kuh.
    Ãœben die modernen Massenmedien einen schädlichen moralischen Druck aus? Auf dem Balkan etwa mußten die Regierungen geradezu militärisch intervenieren, weil die westliche Öffentlichkeit von den Vorgängen schockiert war.
    Nehmen wir das Kosovo. Die Kosovaren wurden natürlich von den Serben unterdrückt. Ihr Aufstand war verständlich. Aber die Zwangsevakuierung, die von MiloÅ¡evic´ im Kosovo angeordnet wurde, läßt sich auf keinen Fall mit Auschwitz vergleichen, wie das der damalige deutsche Außenminister tat, um die Zustimmung seiner Partei für diesen Kriegseinsatz zu gewinnen. Die albanische Bevölkerung des Kosovo wurde in Autos, in Zügen, in Bussen nach Mazedonien abgeschoben. Einige fuhren auf den eigenen Traktoren. Der Vergleich mit Auschwitz war wirklich unangemessen.
    Sie haben von dem Mitgefühl gesprochen, das in Ihrem Buch »Afrikanische Totenklage« steckt. Woher kommt die Anteilnahme?
    Ich kenne die Kongolesen gut und mag sie. Auch dort habe ich kritische Situationen erlebt, und gelegentlich hat man mir das Gewehr auf die Brust gesetzt. Aber die Kongolesen sind ein heiteres, liebenswertes Volk. Vor ein paar Jahren bin ich nach Kisangani gelangt, das frühere Stanleyville. Ich war der einzige Ausländer außer ein paar Mitarbeitern des Roten Kreuzes. Da ist mir ein alter elender Mann begegnet, und ich habe ihn, wie dort üblich, gefragt: »Wie geht’s?« Ein Kongolese antwortet dann eigentlich immer: »Es geht« oder »Es geht gut« oder »Es geht so leidlich«. Aber dieser Alte sagte: »Es geht schlecht, Monsieur.« Da hatte ich plötzlich den Eindruck, in seinem Gesicht den Horror zu entdecken, den Joseph Conrad einst in »Herz der Finsternis« beschrieb.
    Manchmal klingen Sie wie ein harter Realist – und dann merkt man doch wieder, daß die Dinge Sie anfaßen und bewegen.
    Ich neige nicht zur Sentimentalität. Auch wenn ich schwere persönliche, familiäre Verluste erlitte, glaube ich nicht, daß ich weinen würde. Das vermindert meine Trauer nicht. Mir hat ungeheuer imponiert, was ich im libanesischen Dorf Bikfaya erlebt habe, als der

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