Die Welt aus den Fugen
feindlich gesonnene schiitische und sunnitische Viertel. Auch die heiligen Stätten umgeben sich mittlerweile mit Betonmauern zum Schutz vor Attentaten.
Würde sich der Iran aus diesem Bürgerkrieg heraushalten?
Nein, dies tut er ja schon heute nicht. Bisher hat er sich jedoch erstaunlich zurückgehalten. Der Iran hat die von den Amerikanern im Irak eingesetzten Regierungschefs anerkannt und Beziehungen mit ihnen aufgenommen. Ich bin mir aber sicher, daà die Iraner heute schon über den Irak Waffen an die Alawiten nach Syrien liefern.
Angenommen, es käme zu einem Angriff auf den Iran â welche Optionen hat dieses Land?
Die iranischen Revolutionswächter verfügen über eine Vielzahl hochgerüsteter Schnellboote mit Raketen und Torpedos.
Damit wird man gegen die amerikanischen Flugzeugträger im Persischen Golf wenig ausrichten können â¦
In diesem Punkt wäre ich mir nicht so sicher. Aber abgesehen davon â der Iran braucht nicht einmal die amerikanische Flotte anzugreifen. Es reicht, ein paar die Meerenge von Hormuz passierende Tanker in Brand zu stecken.
Vierzig Prozent des maritimen Erdöltransports passieren die Küste Irans.
Eben! Ãberdies verfügen die Iraner über treffsichere, tief im Gestein eingebunkerte Raketen. Man sollte nicht blind darauf vertrauen, daà bei einem Angriff diese Raketen komplett ausgeschaltet werden. Würden sie gezielt auf die nahen saudischen und kuweitischen Erdölfelder oder Verschiffungsanlagen abgefeuert, würde der Erdölpreis weltweit ins UnermeÃliche steigen.
Vorhin sagten Sie, ein solcher Angriff auf den Iran sei wenig wahrscheinlich.
Zumindest ein Angriff der USA ist kaum vorstellbar. Die USA haben eine Kette von Rückschlägen hinnehmen müssen â etwa im Irak, in Afghanistan oder in Somalia. Ich rechne nicht mehr mit einem massiven amerikanischen Eingreifen.
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»ICH NEIGE NICHT ZUR
SENTIMENTALITÃT.«
»Das Böse existiert wirklich«
Interview, 17. 12. 2008 1
Herr Scholl-Latour, was war das schlimmste Leid, dessen Zeuge Sie in Ihrem Reporterleben geworden sind?
Das geschah, bevor mein Reporterleben überhaupt begann. Am Ende des Krieges war ich drei Monate in Gestapohaft und habe in einen Abgrund von Grauen geblickt. Persönlich möchte ich auf diese Erfahrung nicht verzichten. Sie hat auf mich wie ein Stahlbad gewirkt und mich gegen alle anderen Prüfungen abgehärtet. Ich habe in jenen Tagen entdeckt, daà das Böse wirklich existiert, im Christlichen würde man von der Erbsünde sprechen. Um einigermaÃen gesittet zu leben, bedarf der Mensch wohl einer gewissen Zucht, einer Strenge, also einer Religion, wie immer man das nennen will.
Und nach der Nazizeit, als Journalist, was hat Sie da am grauenhaftesten berührt?
Ich entrüste mich nicht leicht. Aber ich glaube, daà die Massaker, die zur Zeit wieder am Kongo Millionen Opfer fordern, die gröÃte menschliche Tragödie unserer Tage darstellen. Daran gemessen sind die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 in New York nur eine tragische Episode.
Haben Sie es erlebt, daà Sie am liebsten nicht mehr beobachtet und berichtet, sondern selbst eingegriffen und geholfen hätten?
Da sind die Möglichkeiten begrenzt. Ich will nur ein Beispiel nennen, das bei der französischen Truppenlandung im Jahr 1946 im indochinesischen Hafen Haiphong stattfand. Drei Soldaten meiner Truppe, die sich unvorsichtig entfernt hatten, fanden wir in einem Kanal wieder. Man hatte ihnen die Augen ausgestochen, und sie waren entsetzlich verstümmelt. Dann ist es sehr schwer, bei der Truppe die Disziplin aufrechtzuerhalten, sie zu hindern, im verdächtigen Dorf Rache auszuüben und sich auszutoben. Ich erwähne den Vorfall, weil die Bundeswehr in Afghanistan heute bereits in einen Partisanenkrieg verwickelt ist und die Führung auf unkontrollierte Reaktionen der eigenen Soldaten vorbereitet sein muÃ.
Als Autor wollen Sie keinen Einfluà nehmen?
In meinen Büchern versuche ich natürlich, auf die schreiendsten Skandale hinzuweisen. Ich betrachte mein Buch »Afrikanische Totenklage« als eines meiner, sagen wir, mitfühlsamsten Bücher. Ob das etwas bewirkt?
Soll Politik sich von Empfindungen des Mitgefühls leiten lassen, von
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