Die Welt aus den Fugen
Hinwendung zu Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie stehen würde. Jedenfalls komme man mir nicht mit dem Argument, der von Washington verhängte Ostrazismus gegen das Zwangsregime der Assads, der Alawiten, der Baath-Partei, die systematische Förderung des sich entfachenden Bürgerkrieges sei aus Sorge um das Schicksal der dortigen Zivilbevölkerung geschehen, sodaà es sich um eine humanitäre Rettungsaktion gehandelt habe. Dann hätte man auch auf der Insel Bahrain im Persischen Golf mit Nachdruck dem Selbstbestimmungswillen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit stattgeben müssen, statt der sunnitischen Dynastie El Khalifa beizustehen und â als deren Minithron schwankte â die Panzer Saudi-Arabiens über die Brücke rollen zu lassen, die Manama mit der arabischen Halbinsel verbindet.
Das derzeitige Regime von Damaskus müsse ausgelöscht werden, so hört man, weil die heilige Allianz der ultrareaktionären sunnitischen Monarchien es nicht dulden könne, daà in Syrien eine Mehrheit ihrer Glaubensbrüder durch eine religiöse Minderheit von Ketzern, denen man die abscheulichsten kultischen Ausschweifungen zutraut, dominiert und drangsaliert werde. Vor allem geht es dem saudischen Königreich darum, das Entstehen einer durchgehenden iranisch und schiitisch kontrollierten Landmasse zu verhindern, die sich von den Grenzen Afghanistans bis zum Mittelmeer erstreckt und eventuell die Vorherrschaft über den Persischen â oder wie man in Er Riad sagt â den Arabischen Golf an sich reiÃen könnte.
Für Amerika und Israel gelten ähnliche, wenn auch nicht konfessionell bedingte Sorgen. Ein Machtzuwachs Irans würde die Erdölfelder Saudi-Arabiens, Kuweits und der Emirate im Falle einer extremen bellizistischen Entwicklung den Vergeltungsschlägen der relativ hochentwickelten Raketentechnik der persischen Revolutionswächter aussetzen. Die Erdölverschiffung durch die Meerenge von Hormuz wiederum â etwa vierzig Prozent des gesamten maritimen Petroleumtransports â könnte durch die Torpedos und Lenkwaffen der speziell aufgerüsteten iranischen Schnellboote blockiert werden.
Der israelische Generalstab steht dem Drängen gewisser Politiker, zum Präventivschlag gegen die atomaren Ambitionen der Mullahkratie auszuholen, mit Skepsis gegenüber. Dort stellt man sich die Frage, wer und was auf die Assad-Diktatur von Damaskus folgen würde, die bei aller antizionistischen Stimmungsmache jahrzehntelang verhinderte, daà es an der kritischen Demarkationslinie bei Kuneitra am Rande der Golanhöhen zu bewaffneten Zwischenfällen kam. Das könnte sich drastisch ändern, wenn Kohorten von Gotteskriegern dort auftauchten und die Phantombrigaden von El Qaida nach den StraÃenkämpfen von Aleppo ihr Schwergewicht in die Ruinenlandschaft von Kuneitra verlagern würden. Zur Stunde gilt für Israel eine Priorität. Die syrische Nabelschnur zwischen dem iranischen Erzfeind und jener schiitischen Hizbullah-Truppe des Libanon soll zerschnitten werden, die 2006 »Zahal« zum Rückzug zwang und Galiläa durch zahllose Katjuscha-Einschläge in Panik versetzte.
Ein bizarrer Höhepunkt der antisyrischen Kampagne war erreicht, als der AuÃenminister des früheren französischen Präsidenten Sarkozy, Alain Juppé, sich vor laufender Kamera neben dem saudischen AuÃenminister Saud Bin Feisal produzierte, um das Baath-Regime von Damaskus gebieterisch zur Einhaltung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit aufzufordern. Der Araber, der neben ihm saÃ, war der Repräsentant einer Dynastie, die im Gegensatz zur Assad-Diktatur, die ihren Christen extreme Toleranz gewährt, die Einfuhr von Bibeln und Kreuzen in ihr »Mamlakat« verbietet und jede kultische Betätigung der »Nazarener«, insbesondere das Abhalten einer katholischen Messe für die zahllosen philippinischen Arbeitssklaven, mit der Hinrichtung des Priesters  geahndet hätte, wenn die amerikanischen Freunde den Seelsorger nicht rechtzeitig aus dem Lande geschafft hätten. Der sozialistische Nachfolger Juppés am Quai dâOrsay Laurent Fabius verstieg sich zu der geschmacklosen Erklärung: »BaÂshar el-Assad verdient es nicht, auf dieser Erde zu leÂben.«
Die Türkei Recep Tayeb Erdogans hat nach einer Periode enger Zusammenarbeit mit Damaskus eine abrupte
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