Die Welt aus den Fugen
Vorübergehend versuchten die verfeindeten Politiker von Damaskus sogar durch eine Vereinigung mit der ägyptischen Vormacht Gamal Abdel Nassers ein gewisses Maà an Stabilität zu gewinnen. Diese Union fand sehr bald ein unrühmliches Ende. Der Unterschied war eben zu groà zwischen den dunkelhäutigen Fellachen des Niltals und den europäisch anmutenden Intellektuellen von Damaskus und Aleppo.
*
Meine letzte Reise nach Damaskus fand im Dezember 2011 unter merkwürdigen Umständen statt. Ich erhielt eine Mitteilung der syrischen Botschaft in Berlin, Präsident Bashar el-Assad wolle mich zu einem Gespräch einladen. Wie ich zu dieser Bevorzugung gelangte, ist mir weiterhin unerklärlich. In den langen Jahren meiner Orientberichterstattung hatte ich in keiner Weise um die Gunst des Assad-Regimes geworben. Zum Zeitpunkt des vernichtenden Schlags gegen den Aufruhr der sunnitischen Hochburg Hama im Jahr 1982, bei dem 20000 Menschen niedergemetzelt wurden, hatte ich zwei Tage nach dem Blutbad ganz zufällig die verwüstete Stadt passiert und war von den »Rosa Panthern« Rifaat el-Assads, des Bruders des damaligen Staatschefs Hafez el-Assad, als »ajnabi«, als Ausländer, ohne Umstände durch die StraÃensperren gewunken worden. In meinen Berichten hatte ich diesen Horror in keiner Weise beschönigt.
Zwischen der feudalen sunnitischen Oberschicht von Hama und den seit Jahrhunderten geknechteten und verachteten Alawiten des nahen Gebirges von Ansarieh war die tief eingefleischte Feindseligkeit in offenen Kampf umgeschlagen. Auch die Omnipräsenz der Sicherheitsdienste, die der säkuÂlaren und sozialistisch ausgerichteten Baath-Partei naheÂstanden, die grauenhaften Foltermethoden, denen zahlreiche Oppositionelle ausgeliefert waren, sowie die Exekution sämtlicher Häftlinge eines Sondergefängnisses bei Palmyra hatte ich erwähnt. Daà damals schon die bewaffneten Zivilisten der alawitischen »Schabiha« besonders gefürchtet waren, hatte ich nicht verschwiegen.
Der Zufall hatte es gefügt, daà ich nach einer Reportage über den »Schwarzen September« des Jahres 1970 in Amman, als König Hussein die Machtergreifung seiner aus Palästina zugewanderten Bevölkerungsmehrheit durch die ihm ergebenen Beduinen mit überlegener Waffengewalt verhindert hatte, die Reise nach Damaskus antrat. An der syrisch-jordanischen Grenze geriet ich zwischen die Linien der beiden Armeen, die sich anschickten, einen regelrechten Krieg auszutragen. In Damaskus hatte das führende Triumvirat der Baath-Partei â zwei Ãrzte und ein General â, das sich durch eine hemmungslose Demagogie und Brutalität auszeichnete, der bedrängten Fedayin-Truppe Yassir Arafats zu Hilfe eilen wollen. Als ich nach Passieren der brennenden Grenzstation Deraa mit meinem Mietwagen in Damaskus eintraf und im Restaurant Vendôme mit einem deutschen Botschaftsrat dinierte, erfuhr ich, daà soeben ein Militärputsch stattgefunden hatte. Einem gewissen General Hafez el-Assad, dem Oberbefehlshaber der syrischen Luftwaffe, war es zu verdanken, daà das kriegslüsterne Triumvirat inhaftiert und den Jordaniern wie auch den Israeli signalisiert wurde, daà ein syrisches Vorrücken in Richtung Amman nicht stattfinden werde. Hafez el-Assad war sich bewuÃt, daà schon am ersten Tag dieses überstürzten Feldzuges sämtliche Flugzeuge seiner Luftwaffe durch die Israeli vernichtet und daà die USA nicht tatenlos zusehen würden.
Die StraÃen von Damaskus hatten sich geleert. Es herrschte in jener Nacht, in der Hafez el-Assad die Macht an sich rià und seine langjährige Diktatur einleitete, eine erdrückende Atmosphäre der UngewiÃheit, aber auch der Erleichterung darüber, daà dieser neue starke Mann Syrien vor einem verhängnisvollen Abenteuer bewahrt hatte. Daà Hafez el-Assad der verschworenen Gemeinschaft der Alawiten angehörte, daà er von nun an die Schlüsselstellungen in Staat und Armee mit seinen Glaubensbrüdern besetzen würde, sollte erst später zum Ãrgernis werden und die im Untergrund operierenden sunnitischen Muslimbrüder zum konfessionell motivierten Widerstand veranlassen. Mit dem Massaker von Hama erreichte diese Konfrontation ihren grausigen Höhepunkt, aber danach herrschte eine Friedhofsstille unter dem wachsamen Auge der allgegenwärtigen »Mukhabarat«, der
Weitere Kostenlose Bücher