Die Welt aus den Fugen
Irreführung erlegen. Der Kreis der atlantischen Selbsttäuschung hätte sich geschlossen.
Lassen wir noch einmal Ibn Khaldun zu Wort kommen, der das politische Verhalten der Araber wie folgt schildert: »AufÂgrund des ihnen angeborenen wilden Temperaments sind die Araber weniger als die meisten anderen Völker geneigt, eine höhere Autorität anzuerkennen. Ihren politischen Bestrebungen fehlt es meist an einer deutlichen Zielsetzung. Sie bedürfen des Einflusses einer religiösen Gesetzgebung und der Autorität eines geistlichen Führers, um sich einzuordnen und zu disziplinieren. Wenn eine solche charismatische Gestalt auftritt, dann erst überwinden sie die bei ihnen verbreitete MiÃgunst und AnmaÃung. Erst in Befolgung der göttlichen Gesetze finden sie zur Einheit, zur Ãberlegenheit, zur Macht.«
Die Stunde der alten Männer
Ich werde mich nicht dazu verleiten lassen, über die Zukunft des Euro zu spekulieren. Zu viele widersprüchliche Thesen sind im Umlauf. Aber welche andere Perspektive bietet sich neben der Beibehaltung, der Rettung einer gemeinsamen Währung? Die ohnehin bescheidene Dimension des europäischen Kontinents würde zum Mosaik divergierender Partikel. Mag sein, daà die Vision einer abendländischen Selbstbehauptung â gemessen an den gigantischen Wirtschaftsräumen, gegen deren Rivalität sie sich durchzusetzen versucht â der »Lust am Untergang« anheim fällt, der zumal die Deutschen immer wieder erlegen sind. Aber die Tatsache, daà ein Verzicht auf dieses zugegebenerweise unzureichend ausgereizte Projekt einen Abgrund der UngewiÃheit aufreiÃen würde, könnte vielleicht auch als »List der Geschichte« gedeutet werden. Die Angst vor dem Auseinanderbrechen einer prekären Union des Kontinents sollte den heilsamen Zwang zum dezidierten Handeln, zum politischen und strategischen Zusammenschluà beschleunigen, das BewuÃtsein fördern, daà jenseits aller nationalen Vorbehalte nur noch ein Weg bleibt, um nicht der Bedeutungslosigkeit, dem wirtschaftlichen Ruin und am Ende der Unterwerfung zu verfallen .
Es ist spöttisch bemerkt worden, die Europäer hätten sich eine schweizerische Mentalität angeeignet und damit Abschied genommen von ihren groÃen Visionen. Aber wer so redet, kennt die Entstehungsgeschichte der Confoederatio helvetica nicht. Diese Miniatur Europas könnte den Weg weisen, wie man ständische, nationale und konfessionelle Gegensätze überwindet. Auf die ursprünglichen Fehden zwischen Land- und Stadtkantonen folgte die ZerreiÃprobe profunder religiöser Gegnerschaft zwischen den Jüngern der Reformer Zwingli und Calvin auf der einen, den im römischen Glauben verankerten Katholiken auf der anderen Seite. Zwischen alemannischen Schweizern und den frankophonen »Welschen« der Suisse Romande hat es an Auseinandersetzungen nicht geÂfehlt. Die scheinbare Unvereinbarkeit gipfelte noch im 19. Jahrhundert in der gewaltsamen Auseinandersetzung des »Sonderbund-Krieges«. Aber als im Jahr 1940 die Schicksalsstunde schlug und das übermächtige Dritte Reich einen Durchmarsch über helvetisches Territorium erwog, wurde die als Bürgerwehr organisierte Armee der Schweiz, in der jeder Bürger sein Gewehr zum sofortigen Einsatz im eigenen Heim aufbewahrt, in Windeseile mobilisiert. Die Hochgebirge wurden zu gewaltigen Festungen ausgebaut.
Bei diversen Vorträgen, die ich vor Schweizer Offizieren hielt, war ich immer wieder beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der â je nach Sprachzugehörigkeit des anwesenden Colonel-Divisionnaire â die Befehle auf deutsch oder auf französisch erteilt wurden. Beim Zusammenrücken dieser ursprünglich lockeren Konföderation zum organisch funktionierenden Bundesstaat hat dennoch jeder Kanton seine Eigenart, seine kulturelle Substanz bewahrt, auf die niemand verzichten möchte.
Der Gang der Ereignisse hat dazu geführt, daà innerhalb der viel zu schnell ausgeweiteten Europäischen Union die Bundesrepublik zum Schwergewicht wurde. Deutschland fiel eine Führungsrolle zu, wenn die Berliner Regierung auch jede hegemoniale Versuchung tugendhaft von sich weist. Das liegt nicht nur an der Zahl von achtzig Millionen deutscher Staatsbürger, sondern zweifellos auch an ihrem FleiÃ, ihrer industriellen Begabung und einer sozialen Ausgeglichenheit, die
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