Die Welt aus den Fugen
ihrer »Pasdaran« sind bereits am Orontes aufgetaucht. Vor allem die schlagkräftige Schiiten-Miliz der Hizbullah im Südlibanon greift gelegentlich auf seiten Assads in die Kämpfe ein. Der schiitische Staatschef des Irak, Nuri el-Maliki, muà seinerseits eine Abwürgung Syriens durch die wahhabitischen Extremisten Saudi-Arabiens befürchten. Zwischen Washington und Moskau, die ihre jeweiligen syrischen »Proxies« direkt oder indirekt mit Waffen und Geld beliefern, kommt das Gefühl auf, der Kalte Krieg sei plötzlich neu belebt worden.
Eines ist sicher: Die »Freiheitskämpfer« Syriens wären längst durch die Masse der offiziellen Streitkräfte und die Alawiten-Miliz der »Schabiha« erdrückt worden, wenn sie nicht von den genannten Förderern mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt würden. Es ist ja kein Zufall, daà sich der bewaffnete Widerstand zunächst in Deraa unmittelbar an der Grenze Jordaniens konkretisierte. Die Stadt Homs, die heftig umstritten ist, liegt ihrerseits im Einzugsgebiet des streng sunnitischen Hafens Trablos im Nordlibanon, wo ich schon vor einigen Jahren den beinahe täglichen SchuÃwechsel zwischen einer alawitischen Enklave und den sie umgebenden »rechtgläubigen« Stadtvierteln der Sunniten wahrnehmen konnte. Im Umkreis der Ortschaft Idlib, die in den türkischen Sandschak von Hatay überleitet, trafen über gebirgige Schleichpfade die ersten Waffenlieferungen ein. Inzwischen haben die Geldgeber aus Saudi-Arabien und Qatar für ein beachtliches Arsenal der Rebellen gesorgt. Dadurch wurden die Aufständischen befähigt, den nördlichen Zugang nach Aleppo freizukämpfen und eine Entscheidungsschlacht um diese groÃe Handelsmetropole Syriens einzuleiten.
Die »Freie Syrische Armee« muà sich nicht länger auf den disparaten Haufen von Deserteuren stützen, der schon sehr früh zu ihr übergelaufen war. Erfahrene Jihadisten aus der ganzen arabischen Welt geben sich zwischen Damaskus, Aleppo und Deir es-Zohr ein Stelldichein. Veteranen des Afghanistankrieges, die unlängst noch die Sowjets, dann die NATO am Hindukusch bedrängten, bilden sunnitische Milizen aus. Denen schlieÃen sich nicht nur die syrischen Muslimbrüder an, die nach Jahrzehnten gnadenloser Unterdrückung durch die Baath-Behörden weit intensiver radikalisiert wurden als die relativ versöhnlichen »Ikhwan« des Niltals. Als Kerntruppe des Umsturzes geben sich unter schwarzen Fahnen die internationalen »Kataeb« der Salafisten zu erkennen und jene Experten des Terrors, die man pauschal als El Qaida bezeichnet. Deren Militanz ist durch die Exekution Osama Bin Ladens in keiner Weise gemindert oder geschwächt worden.
Es wäre verwegen, zu dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, irgendeine Prognose zu formulieren. Es kann durchaus sein, daà in Bälde schon »viele Hunde des Hasen Tod« sind. Es kann auch â auf Libanon, Irak, Kurdistan und Iran übergreifend â ein verheerender Flächenbrand entstehen. Verblüffend ist zur Stunde die Einseitigkeit, die Voreingenommenheit, mit denen die Regierungen und die Medien Deutschlands, Frankreichs, GroÃbritanniens für eine sogenannte Freiheitsarmee Partei ergreifen, deren erprobteste Kämpfer auf den radikalen Islamismus und am Ende auch auf eine antiwestliche Grundvorstellung eingeschworen sind. Die Atlantische Allianz verschlieÃt die Augen vor der Tatsache, daà mit dem Syrien Bashar el-Assads der letzte säkulare Staat der arabischen Welt untergeht. Das Abendland nimmt keine Notiz davon, daà die Christen Syriens, die unter dem Baath-Regime immerhin eine für die arabische Welt ungewöhnliche Toleranz genossen, auf das schlimmste gefaÃt sein müssen. Ihnen schwebt das Schicksal der Christen Mesopotamiens vor Augen, die â von ihren Glaubensbrüdern in Amerika und Europa miÃachtet und im Stich gelassen â mehrheitlich gezwungen wurden, die Flucht ins Ausland anzutreten. Vergeblich haben die katholischen Chaldäer des Irak auf eine kraftvolle Stellungnahme des Papstes zu ihren Gunsten gewartet. Ein ähnlicher »Verrat« des Abendlandes steht wohl den »Messichin« Syriens bevor.
In Deutschland klammert man sich wieder einmal an die Utopie, daà am Ende des »Arabischen Frühlings«, der längst in einen Nebel von Blut eingetaucht ist, eine staatliche
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