Die Welt aus den Fugen
berüchtigten Sicherheitsdienste, auf deren Effizienz übrigens auch die anderen arabischen Staaten ihre Stabilität und ihr Ãberleben gründen.
Wenn ich über diese ferne Vergangenheit berichte, so weil ohne ihre Berücksichtigung die heutige Situation nur fehlgedeutet werden kann. Was mein Gespräch mit Präsident Bashar el-Assad betrifft, das am 30. Dezember 2011 um acht Uhr morgens stattfand, so will ich mich an die vereinbarte Diskretion halten. Es war ja kein Interview, und sensationelle Neuigkeiten hatte der hochgeschossene Staatschef, den man im Volksmund »die Giraffe« nennt, auch nicht mitzuteilen. Bei dieser morgendlichen Teestunde wurden weder mein Gepäck, das sich in der geparkten Limousine befand, noch meine Person irgendeiner Leibesvisitation unterzogen. Vor dem Pavillon, der sich im Park des Palastes befindet, kam mir Assad schon auf den Stufen entgegen. Leibwächter habe ich nicht gesichtet, obwohl ich davon ausging, daà stets ein paar schuÃbereite Mündungen auf mich gerichtet waren. Der Eindruck, den mein Gesprächspartner hinterlieÃ, kann nur subjektiv sein. Einen Massenmörder glaubte ich in dem noch jugendlich wirkenden Zivilisten nicht entdecken zu können. Bashar hätte wohl lieber den Beruf eines Augenarztes ausgeübt, statt auf Weisung seines Vaters nach dem Unfalltod des soldatisch und sportlich veranlagten älteren Bruders Basil das schwere Erbe des Diktators anzutreten.
Aber auch für Bashar el-Assad gelten die von Ibn Khaldun geschilderten Bindungen der familiären und ethnischen »Asabiya«. Er muà nicht nur den weitverzweigten Familienclan schützen, sondern es geht um die nackte Existenz der Glaubensgruppe der Alawiten. Diese Häretiker, die bei vielen Sunniten verhaÃt sind, auch wenn die Assads durch einen Erlaà des gefügigen GroÃmuftis von Damaskus zu rechtgläubigen Muslimen deklariert wurden, wissen, welches Schicksal sie im Falle eines Sieges ihrer fanatisierten und auf Rache drängenden sunnitischen Gegner zu erwarten hätten. Sie verlören nicht nur ihre Privilegien und ihre Ãmter, sie wären vermutlich einem gnadenlosen Massaker ausgeliefert. Dem Präsidenten muà zudem das Schicksal des Libyers Qadhafi vor Augen schweben, der zweifellos eine tödliche Kugel verdient hatte, der aber vorher von seinen entfesselten Henkern sadistisch gepfählt worden war.
Als Alternative böte sich allenfalls ein Prozeà vor dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag und die Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe auf Lebenszeit. Im Falle einer Ermordung Bashars wäre übrigens die syrische Tragödie auf keine Weise bereinigt. Sein jüngerer Bruder Maher, dessen Brutalität als Armeekommandeur berüchtigt ist, stände bereit, um in die Bresche zu springen und sich dem Untergang der Alawiten mit dem Mut der Verzweiflung zu widersetzen.
Syrien ist zu einem internationalen Streitfall mit unabsehbaren Folgen geworden. Das Land sieht sich von einer vielfachen und heterogenen Allianz erbitterter Feinde umgeben. Dazu zählen Saudi-Arabien und das Emirat Qatar, das haschemitische Königreich Jordanien sowie die sunnitische Hariri-Partei des Libanon, die das Scheitern ihrer »ZedernÂrevolution« noch nicht verwunden hat. Die sunnitischen Westprovinzen des Irak, Anbar und Ninive, fügen sich in dieses Einkreisungsszenario ein. Vor allem von der mächtigen Türkei droht Gefahr, die â falls sie wirklich eingreifen sollte â binnen kurzem eine Entscheidung zugunsten der sogenannten »Freien Syrischen Armee« erzwingen könnte. Als heimliche Inspiratoren dieser Koalition müssen jedoch auch die Vereinigten Staaten von Amerika erwähnt werden, deren Aktion mit dem israelischen Generalstab aufs engste koordiniert ist.
Mehr oder weniger diskrete Zustimmung findet das Assad-Regime angeblich bei der Hälfte der syrischen Gesamtbevölkerung, denn auch das gemäÃigte sunnitische Bürgertum blickt mit Entsetzen auf das Abgleiten des Landes in Bürgerkrieg und wirtschaftlichen Ruin. Im Weltsicherheitsrat sind Moskau und Peking darauf bedacht, nicht noch einmal durch ihre Stimmenthaltung der westlichen Allianz freie Hand zu lassen, zumal RuÃland im syrischen Hafen Tartus über einen letzten Flottenstützpunkt am Mittelmeer verfügt. Diskrete Unterstützung findet der Assad-Clan bei der Islamischen Republik Iran. Die Vorauselemente
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