Die Welt aus den Fugen
Kehrtwende vollzogen. Ãber die anatolische Grenze erhalten die Aufständischen das Gros ihres Nachschubs. Hier sickern auch die meisten ausländischen Jihadisten ein, die â um westliche Reporter zu täuschen â sich notfalls den Bart abrasieren. Wieder einmal erweist sich der lockere Verbund von El Qaida als giftiges Produkt des saudischen Fanatismus. Allmählich muÃten selbst jene westlichen Beobachter, die von einer nationalen Auflehnung der sogenannten »Freiheitskämpfer« geredet hatten, eingestehen, daà sich unter der schwarzen Fahne der Salafiya eine kampferprobte Schar von »Gotteskriegern« ansammelte, die den schlimmsten Horrorvorstellungen der Amerikaner entsprach.
Was Ankara mit dieser flagranten Einmischung bezweckt, läÃt sich schwer erraten. Schon geht das Gerücht um, der ehrgeizige Ministerpräsident Erdogan strebe eine Wiedergeburt osmanischer GröÃe an und versuche die ehemals laizistische Republik Atatürks als sunnitische Vormacht im gesamten Maschreq zu etablieren. Ganz risikolos wäre diese Bestrebung nicht, denn auch die sunnitischen Syrer haben vom osmanischen Kalifat, seinen rüden Verwaltungsmethoden und seiner kulturellen Verödung eine sehr zwiespältige Erinnerung bewahrt. Eine Zeitlang hatte Hafez el-Assad den Partisanen der kurdischen Aufstandsbewegung PKK die Möglichkeit geboten, auf syrischem Territorium Ausbildungslager einzurichten und die Weisungen ihres obersten Anführers Ãcalan entgegenzunehmen. Obwohl Ãcalan heute auf einer Insel des Marmarameers gefangengehalten wird, hat er sein Prestige bewahrt. Seit kurzem hat sich Bashar el-Assad bereit finden müssen, den Kurden, die auf seinem eigenen Staatsgebiet im äuÃersten Nordosten leben und etwa zwei Millionen Menschen zählen, eine ähnliche Autonomie einzuräumen, wie sie bereits die Kurden des Irak zwischen Arbil und Suleimaniye genieÃen. Die Zahl der Ãberfälle von PKK-Freischärlern auf türkische Soldaten haben seitdem in Anatolien zugenommen. Das Problem der dortigen »Bergtürken« bleibt für Ankara so ungelöst wie eh und je.
Die syrische Armee verfügt über ein beachtliches Arsenal an chemischen Kampfstoffen und Giftgasen. Nachdem der irakische Diktator Saddam Hussein seinerzeit die iranische Gegenoffensive in den Majnun-Sümpfen mit Gasgranaten buchstäblich erstickte, die von westlichen Produzenten geliefert wurden, ist das nicht ganz unverständlich. In Washington geht man davon aus, daà Bashar el-Assad davon Abstand nehmen wird, diese Instrumente des Schreckens im heimischen Bürgerkrieg einzusetzen, wo keine klaren Fronten existieren und die eigenen Sympathisanten durch diesen Einsatz betroffen würden. Aus Israel ist mit Nachdruck darauf verwiesen worden, daà eine Intervention Zahals stattfinden würde, wenn das syrische Oberkommando einen Teil seiner chemischen Waffen an die Hizbullah des Südlibanon abzweigen würde. Dadurch wäre sie natürlich in der Lage, das Herzland des jüdischen Staates zu bedrohen und zu erpressen.
Noch eine andere Befürchtung geht um. Die CIA ist sich sehr wohl bewuÃt geworden, daà die aktivsten Kombattanten der »Freien Syrischen Armee« zunehmend von radikalen Jihadisten und neu formierten El-Qaida-Gruppen unterwandert werden. Sollten sich diese zu allem entschlossenen Desperados auch nur eines Teils der syrischen Chemiewaffen bemächtigen, würde der internationale Terrorismus eine furchterregende neue Dimension annehmen. Die Gegner Assads könnten dann sehr viel gefährlicher werden, als es das Baath-Regime von Damaskus jemals war.
In Syrien, so wird bereits befürchtet, könnten sich die bitteren Erfahrungen Afghanistans wiederholen. Als Instrument gegen die verhaÃten schiitischen Ketzer und ihre syrischen Helfershelfer zögern gewisse Agenten des saudischen Mukhabarat nicht, auch bewährte Attentäter von El Qaida einzusetzen, die, als gemäÃigte Freiheitskämpfer getarnt, sich auch dem amerikanischen Geheimdienst andienen würden. Sobald sie ihr Ziel erreicht und in Damaskus einen islamischen Gottesstaat errichtet hätten, könnten diese sunnitischen Extremisten ihr inzwischen global ausgeweitetes Netz in den vorrangigen Dienst des »Heiligen Krieges« gegen die Verruchtheit der westlichen Gottesfeinde stellen. Das Atlantische Bündnis wäre wieder einmal einer systematischen
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